Marsmännchen überm Klingelbrett

Wolfgang Mattern sicherte die Hauseingangskunst in Hohenschönhausen auf Zelluloid

  • Steffi Bey
  • Lesedauer: 3 Min.
Bunt gegen Betongrau: Vor 30 Jahren gestalteten Neu-Hohenschönhausener ihre Hauseingänge selbst und bemalten sie. Eine Fotoausstellung erinnert an die längst verschwundenen Motive.

Aus heutiger Sicht war es ein großes Glück, dass Wolfgang Mattern 1991 von einem Tag auf den anderen in Rente geschickt wurde. Plötzlich hatte er sehr viel Zeit und noch mehr Ideen. Der einstige Lehrer, der jahrelang in der Akademie der pädagogischen Wissenschaften der DDR arbeitete, ist sozusagen der Retter der Hauseingangskunst. Er selbst würde sich nie so bezeichnen, aber es trifft den Kern seiner Aktivitäten.

Wolfgang Mattern hat Anfang der 1990er Jahre damit begonnen, die vielen bunten Motive an den betongrauen Fassen in Neu-Hohenschönhausen zu fotografieren. Mehrere Wochen lang machte er sich jeden Tag mit dem Fahrrad auf den Weg von Alt-Hohenschönhausen ins Neubaugebiet: Stets dabei Kamera, Farbfilme und Schreibblock. »Manchmal entstanden drei, vier Aufnahmen pro Eingang, weil die Kunstwerke unterschiedlich groß waren«, erinnert sich der 85-Jährige. Mehr als 500 Fassadenbild-Fotos sind entstanden. Aber nicht nur das - akribisch notierte der Hobbyfotograf dazu Straßennamen und Hausnummern.

Während seiner ausgiebigen Touren traf er auf Bewohner, die seinen Einsatz begrüßten. »Denn damals stand schon fest, die handgemalten Motive werden verschwinden«, erinnert sich Mattern. Die neuen Wohnungseigentümer, die Anfang der 1990er Jahre kamen, hatten eben große Pläne. Im Zuge der Sanierung wurden jedenfalls nach und nach sämtliche Zeichnungen entfernt.

Entstanden waren die Bilder in Eigeninitiative der Bewohner. »Als die Häuser zwischen 1984 und 1989 hochgezogen wurden, sahen sie irgendwie alle gleich aus«, erinnert sich auch Gunnar Müller. Der Maler und Grafiker war vor 28 Jahren in die Neubausiedlung gezogen. »Gerade Kinder konnten sich aufgrund der Einheitsarchitektur ihre Hauseingänge inmitten der betongrauen Riesen nur schwer merken«, berichtet Müller.

Ihn fasziniert an der »Bürgeraktion von damals«, dass die Werke ganz spontan entstanden. »Fragen etwa, ob das überhaupt erlaubt ist, stellte niemand - die Leute legten einfach los.« Deshalb gab es oft die gleichen Motive: zumeist Märchen- oder Fernsehfiguren und Tiere. Pittiplatsch in verschiedenen Posen und Größen und der kleine Maulwurf waren die am häufigsten abgebildeten Gestalten auf den bunten Gemälden. Gunnar Müller, der die aktuelle Fotoausstellung als Kurator betreut, faszinierten die selbst entworfenen Darstellungen am meisten. Ein riesiges pinkfarbenes Marsmännchen gehört dazu.

Dass einige Aufnahmen von Wolfgang Mattern jetzt öffentlich präsentiert werden, ist vor allem dem Förderverein Schloss Hohenschönhausen zu verdanken. »Ich bin dort selbst Mitglied und habe mein gesamtes Archiv übergeben«, sagt der Senior. Vereinsmitglieder digitalisierten die Filme und stellten eine Auswahl der Fotografien zusammen.

Über die vielen positiven Reaktionen der Ausstellungsbesucher freuen sich Mattern und seine Mitstreiter. Außerdem gibt es bereits mehrere Anfragen von Vereinen aus dem Bezirk, die gerne die Schau zeigen wollen. »Das passt ganz gut, denn bis zum Herbst nächsten Jahres wird noch das 30-jährige Jubiläum der Großsiedlung Neu-Hohenschönhausen gefeiert«, sagt Wolfgang Mattern. Er hat aber auch noch eine andere Idee, die mehr ein Wunsch ist: »Es wäre doch toll, wenn einige Kunstwerke von damals auf Postkarten verewigt werden«, sagt er.

Die Ausstellung »Bemalungen an Häusern in Hohenschönhausen 1984 bis 1989« wird bis 2. Oktober im Rathaus Lichtenberg, Möllendorffstraße 6, gezeigt. Öffnungszeiten: montags bis freitags von 8 bis 18 Uhr.

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