nd-aktuell.de / 26.09.2014 / Brandenburg / Seite 12

Erfolg für die LINKE in Sichtweite

Rechtsanwalt André Stahl ist jetzt Favorit bei der Bürgermeisterstichwahl in Bernau

Andreas Fritsche
Ein Erfolgserlebnis könnte die Linkspartei nach ihrer Schlappe bei der Landtagswahl dringend gebrauchen. André Stahl könnte jetzt bei der Bürgermeisterstichwahl in Bernau dafür sorgen.

»Vom Gefühl her mindestens 55 Prozent«, beurteilt sein Wahlkampfleiter Christian Rehmer die Aussichten. Der Rechtsanwalt André Stahl (LINKE) müsste die Bürgermeisterstichwahl in Bernau (Barnim) am kommenden Sonntag normalerweise klar gewinnen. In der ersten Wahlrunde am 14. September hatte Stahl 5531 Stimmen erhalten. Damit lag er 63 Stimmen hinter der amtierenden Rathauschefin Michaela Weigand, die von SPD, CDU, Grünen und Piraten ins Rennen geschickt wird.

Zumindest theoretisch hat Stahl jedoch im Moment einen klaren Vorsprung. Wahlkampfchef Rehmer rechnet mit einem großen Teil jener 4023 Stimmen, die in der ersten Runde Ralf-Peter Hennig erhalten hatte. Hennig ist damit ausgeschieden. Es spricht viel dafür, dass seine Wähler nun André Stahl ankreuzen werden.

Der Reihe nach: Bernaus Bürgermeister Hubert Handke (CDU) wurde am 30. März durch einen Bürgerentscheid aus dem Amt gefegt. Er war Vorsteher des Wasser- und Abwasserverbandes (WAV) Panke-Finow, und die Einwohner von Bernau sind empört wegen der hohen Beiträge, die der WAV von den Altanschließern verlangt. Eine Bürgerinitiative protestiert seit mittlerweile 52 Wochen immer dienstags vor dem Rathaus. Zum Widerstand gegen die geforderten Zahlungen formierte sich ein Bündnis für Bernau, das bei der Kommunalwahl am 25. Mai in die Stadtverordnetenversammlung einzog. Für die Bürgermeisterwahl stellte das Bündnis Kämmerer Hennig auf, der versprach, keine Altanschließerbeiträge zu nehmen, während Hubert Handkes einstige Stellvertreterin Michael Waigand unbeirrt kassieren lassen will. Hennig hatte das von vielen Altanschließern bevorzugte Gebührenmodell in Aussicht gestellt. Das hätte geheißen, dass von Hauseigentümern gar keine Beiträge mehr für Anschlüsse ans Trinkwassernetz und an die Kanalisation verlangt werden - weder künftig für Neuanschließer noch nachträglich für Altanschließer. Dafür wären höhere Gebühren für den Wasserverbrauch und die Abwasseraufbereitung berechnet worden.

Seinen Erfolg verdankt das Bündnis für Bernau nicht zuletzt vielen Menschen, die zur Linkspartei hinneigen, sich von ihr aber abgewandt haben, weil die LINKE weder für die Abwahl Hubert Handkes plädierte noch zusicherte, die Beitragsforderungen gänzlich aufzuheben. André Stahl schlägt stattdessen einen Kompromiss vor. 5000 Euro müsste ein Altanschließer nach gegenwärtigem Stand für ein 1000 Quadratmeter großes Grundstück berappen, rechnet er vor. Nur 500 Euro sollten es nach seinem Vorschlag sein. Die Umstellung aufs Gebührenmodell komme nicht infrage, bedauert er, da der WAV dann 29 Millionen Euro in der Vergangenheit kassierte Anschlussbeiträge zurückerstatten müsste und dies nicht könne. Stahls Kompromissvorschlag ist in den Augen vieler Altanschließer nicht die beste Lösung, aber allemal besser, als die volle Summe zahlen zu müssen. Dies alles wissend, machte sich Stahls Wahlkampfleiter Rehmer unmittelbar nach der ersten Wahlrunde Hoffnungen auf einen Sieg seines Kandidaten in der Stichwahl. »Es läuft nicht schlecht«, frohlockt Rehmer mittlerweile. Er setzt noch einen drauf und sagt: »Es flutscht.«

Das Bündnis für Bernau verbreitete nämlich per Zeitungsanzeige einen Aufruf, in der Stichwahl für André Stahl zu stimmen. Man sei der Auffassung, dass dieser »die bessere Wahl hinsichtlich eines Neuanfangs und positiver Veränderungen in Bernau ist«. Michaela Waigand dagegen setze die Politik des abgewählten Bürgermeisters fort und werde von diesem »offensichtlich beeinflusst«, heißt es in der genannten Anzeige. Eine so eindeutige Positionierung hatte Rehmer nicht erwartet. Trotzdem will er verfrühte Glückwünsche zum Sieg nicht annehmen. Er wartet den Wahlabend ab, denn eine böse Überraschung ist nicht ausgeschlossen.

André Stahl ist bislang noch ehrenamtlicher Bürgermeister seiner Heimatstadt Biesenthal. Er wurde allerdings am 21. Juli 1971 in Bernau geboren und arbeitet dort bereits seit 199 als Rechtsanwalt, seit 2004 in einer eigenen Kanzlei. Privat liebt Stahl die italienische Küche, hört klassische Musik, die Schlager von »Rosenstolz« und den Punk der »Ärzte«.

Bürgermeister von Bernau zu sein, ist eine hauptamtliche Tätigkeit. Hauptamtliche Bürgermeisterin der Gemeinde Wiesenburg im Landkreis Potsdam-Mittelmark ist seit einer halben Ewigkeit Barbara Klembt (LINKE). In der Gemeinde überaus beliebt, erzielte sie mehrfach Traumergebnisse. Aus persönlichen Gründen tritt sie nun aber vorzeitig ab. Die LINKE nominierte als Nachfolger den Regionalwissenschaftler Marco Beckendorf, der in der Berliner Finanzverwaltung arbeitet. Die Mitbewerber des noch jungen Mannes sind der Wiesenburger Schlossparkdirektor Ulrich Jarke und die Künstlerin Dorothee Bornath. Der LINKE-Kreisvorsitzende Jan Eckhoff räumt Beckendorf Chancen ein. Erste Wahlrunde ist am Sonntag. Die Stichwahl, sofern erforderlich, würde zwei Wochen später stattfinden.