Die Entdeckung der Einsamkeit

Die Radsport-WM in der spanischen 68 000-Einwohnerstadt Ponferrada ist eine Enttäuschung

  • Tom Mustroph, Ponferrada
  • Lesedauer: 6 Min.
Dem Radsport-Weltverband UCI fällt es zusehends schwerer, seine Weltmeisterschaft zu vermarkten. In der kastillischen Kleinstadt Ponferrada ist das bei der WM 2014 vielerorts zu sehen.

Das Herz des Radsports schlägt schwach in Ponferrada. Nur wenig Anzeichen gibt es auf das Treffen der Weltelite des Straßenradsports. Das erste und deutlichste Signal sind die Absperrungen. Kilometerlang sind Zäune aufgebaut, die Fahrspuren auf den Hauptmagistralen vom rollenden Verkehr trennen. Manche Kreuzungen und Kreisverkehre sind komplett gesperrt. Auch mitten durch die Sportanlagen im Norden der Stadt, wo sich das Hauptquartier der WM befindet, sind Zäune gezogen. Sie zwingen zu abenteuerlichen Umwegen, wenn man sich zwischen Start und Ziel bewegen will oder auch nur sein Auto suboptimal abgestellt hat. Ein Teil der Kosten der WM-Ausrichtung, ca. 12,5 Millionen Euro, wird so erklärlich. Zumindest das Unternehmen, das die Zäune aufstellte, macht gute Umsätze.

Viel Zeit für Selfies

Die netten Nebeneffekte, die die Absperrungen noch im letzten Jahr bei der WM in der Touristenstadt Florenz hatten, gibt es in Ponferrada nicht. »Beim dortigen Stadtkurs kam allein schon dadurch viel Publikum zusammen, weil die Leute bei den Straßenabsperrungen im Stau standen«, erinnert sich lächelnd der Ex-Radprofi und heutige Sport- & Entwicklungsmanager beim Rennstall Omega, Rolf Aldag. In Ponferrada staut sich nichts. Abgesehen von den etwa 1000 freiwilligen Helfern, die gut gelaunt und hilfsbereit an den Passiermöglichkeiten des Kurses stehen, Getränke- und Informationsstände betreuen und auf Gelegenheiten zum Selfie-Schießen mit Radberühmtheiten lauern, interessieren sich nicht sonderlich viele der insgesamt 68 000 Bewohner für die WM.

Radsportveranstaltungen haben hier zwar Tradition. Zwölf Mal war die Stadt Start oder Zielort einer Etappe der Spanien-Rundfahrt. Zuletzt gewann 2011 der Schweizer Michael Albasini. Er ist auch am Sonntag beim Straßenrennen am Start.

Doch der Elitesport hat keinen sonderlichen Eindruck im Alltagsleben hinterlassen. Außer den WM-Teilnehmern und manchen Betreuern sieht man niemanden auf dem Rad. Radwege sind kaum ausgezeichnet. Geschäftsinhaber stellen keine Fahrradständer auf. Wer sich hier bewegt, geht zu Fuß oder nimmt das Auto.

Kosten in Europa sind zu hoch

»Es gibt hier keine Leidenschaft für den Radsport«, klagt Cesar Garcia Calvo. Er war ein Profi der zweiten Kategorie und ist damit das lokale Radsportidol. Neben einem Etappensieg bei der Baskenlandrundfahrt erwähnt er in seinen Ergebnislisten auch einen gewonnenen Zwischensprint bei einer Vuelta-Etappe. Aber er bezweifelt, dass ihm ein Nachfolger erwachsen wird. »Die Jungen werden gar nicht für den Radsport interessiert. Die Kommune sollte Radsportgruppen finanzieren, um den Nachwuchs für diesen Sport zu gewinnen«, fordert er.

Angesichts von 66 Millionen Euro Schulden in der Stadtkasse und finanziellen Risiken auch bei der WM-Ausrichtung ist das ein frommer Wunsch. Dass trotz dieser Schuldenlast die WM überhaupt zustande kam, ist dem sanften Druck der UCI und der bei Lokalpolitikern aller Länder grassierenden Großmannssucht zuzuschreiben. Der Weltverband hatte schlicht keinen anderen Gastgeber, der die fünf Millionen Euro Lizenzgebühr zu zahlen bereit war. Gleiches gilt auch für die nächsten Titelkämpfe. Richmond 2015 und Katar 2016 waren jeweils die einzigen Bewerber. »Die Kosten für Veranstaltungen der UCI sind für viele europäische Partner zu hoch«, kritisiert BDR-Vizepräsident Udo Sprenger in Ponferrada. Ihre dringend benötigten Einnahmen kann die UCI in nächster Zukunft wohl nur auf anderen Kontinenten machen. Das wiederum erhöht die Anreisekosten, und macht den Kreis der Wettkämpfer kleiner - Diskussionsstoff für den UCI-Kongress am heutigen Freitag.

Auch in Ponferrada stand die WM komplett auf der Kippe. Die Opposition sprach von »zu großen finanziellen Risiken für die Stadt«. Der damalige Oppositionsführer ist jetzt selbst Bürgermeister. Kaum im Amt übernahm er die übliche Besänftigungsrhetorik und versprach »Mehreinnahmen von bis zu 30 Millionen Euro in Folge der WM«.

Wie die erreicht werden sollen, wenn sich schon beim Ereignis selbst das Interesse in Grenzen hält, bleibt unklar. Verlassen kann sich die Stadt nur auf zwei Dinge: den Pilgerstrom und die Windenergie. Als im 11. Jahrhundert eine Brücke über den Rio Sil gebaut wurde, entstand die Stadt. Jetzt ist sie regulärer Etappenort für Wallfahrer. Manche besuchen noch die eindrucksvolle Templerburg direkt über der Altstadt. Wirtschaftliches Rückgrat ist die Windenergieindustrie. In Ponferrada werden die meisten Windräder Spaniens gebaut.

Alle Macht den Rennställen

Bis die Wirtschaftskrise zuschlug, galt die Stadt auch als prosperierend. Zeugnis dafür sind ehrgeizige Neubauten in den Außenbezirken. Doch jetzt wirken sie zu groß dimensioniert selbst für einen Event wie die Rad-WM. Verloren stehen die Busse der Profirennställe auf einem großen Parkplatz gleich neben dem Busbahnhof. Dieser »Backstage-Bereich« der WM liefert interessante Hinweise auf die Kräfteverhältnisse im Radsport. Sofort fallen die Schriftzüge und Logos der Teamsponsoren ins Auge. Omega, Giant Shimano und BMC stellen die Infrastruktur.

Fast verschämt nehmen sich die kleinen Nationalfahnen aus, die darauf hinweisen, dass sich in einzelne Busse jetzt Nationalmannschaften eingemietet haben. Offiziell ein Nationenwettstreit ist die UCI-Rad-WM kaum mehr als eine weitere Werbefläche für die Sponsoren der Profiteams. Selbst auf der Rennkleidung der Nationalfahrer sind die Teamsponsoren vertreten.

Die Tour überstrahlt alles

Die WM vermag sich nicht einmal gegenüber der Tour de France zu behaupten. Im Schaufenster eines der drei Fahrradläden, die das Branchenbuch ausweist, ist neben dem Regenbogentrikot des Weltmeisters das gepunktete Trikot des Bergkönigs der Tour aufgehängt. Radsport wird selbst von den wenigen hiesigen Spezialisten in erster Linie mit der Premiummarke Tour verbunden.

Immerhin ist an der Fassade des Rathauses eine Leuchttafel mit Schriftzug und Logo der UCI angebracht. Nach Einbruch der Dunkelheit erstrahlt der Regenbogen des Weltverbandes in prächtigen Farben. WM-Teilnehmer können sich kaum daran erfreuen. In der Altstadt gibt es nur wenige Hotels. Die Teams sind am Stadtrand untergekommen, viele haben wegen der begrenzten Kapazitäten auch 60, 80 oder 100 Kilometer entfernt Quartier nehmen müssen. Der Effekt eines Radsportdorfes, in dem man sich im Verlaufe der WM-Woche immer wieder begegnet, stellt sich einfach nicht ein.

Das ist schade, vor allem angesichts des Engagements der vielen freiwilligen Helfer. Aber die Fehler wurden schon in der Planungsphase gemacht. Was soll eine WM in einer Stadt, die mit Radsport wenig zu tun hat, die zudem für Teilnehmer und Publikum schwer zu erreichen ist?

Verzicht wegen der Kosten

»Wir haben wegen der hohen Kosten für Anreise und Unterbringung auf einen Start beim Teamzeitfahren verzichtet«, sagt Jochen Hahn, Manager des Continental-Rennstalls Stölting zu »nd«. Seine U23-Truppe hatte sich sportlich qualifiziert. Doch für Hahn waren die Kosten zu hoch. Zudem wird die Weltmeisterschaft in Deutschland nicht live im Fernsehen übertragen - kein Anreiz für den Sponsor. Und zu guter Letzt wollte der Berliner, der als sportlicher Leiter bei den Teams Milram und Wiesenhof das Profigeschäft kennengelernt hat, nicht die Chancen seiner Spitzenfahrer beim U23-Straßenrennen, dem endschnellen Jan Dieteren und dem großen Rundfahrttalent Silvio Herklotz, aufs Spiel setzen. »Fünf Tage nur zwischen Teamzeitfahren und Straßenrennen bieten zu wenig Zeit zur Erholung, wenn man bei beidem Bestleistungen bringen will«, meint er. Und so ist das Teamzeitfahren nur für die großen Rennställe attraktiv, die mehr Personal haben und für die das Straßenrennen zwei Tage später ansteht.

Die Radsport-WM 2014 hat ihre Erfolgsformel noch nicht gefunden. Relevant für die Medien ist nur das Straßenrennen der Männer am Sonntag. Es rächt sich, dass das ganze Jahr über der Radsport vornehmlich als Männersport auf der Straße vermarktet wird. Frauen und Nachwuchs bleiben auf der Strecke, auch beim Saisonhöhepunkt.

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