nd-aktuell.de / 01.10.2014 / Politik / Seite 20

Angepeilte Obdachlose

Die dänische Stadt Odense untersucht mit GPS-Sendern Wege und Aufenthaltsorte von Wohnungslosen

Andreas Knudsen, Kopenhagen
Um die Angebote der städtischen Wohlfahrt zu verbessern, werden Obdachlose in einem Pilotprojekt der Sozialbehörde in Odense mit Peilsendern ausgestattet. Protest gibt es kaum.

Obdachlose haben oftmals feste Routen und Aufenthaltsorte, die den Behörden nicht bekannt sind. Die Sozialbehörde der dänischen Stadt Odense würde das gerne ändern. Denn einige ihrer Angebote wie Suppenküchen, Waschmöglichkeiten und Sozialprojekte werden zu wenig genutzt.

Deshalb griff der Sozialarbeiter Tom Rønning zu einer unorthodoxen Methode. Er fragte 20 Obdachlose, ob sie bereit wären, für drei freie Mahlzeiten pro Tag, eine Woche lang mit einem Peilsender in der Tasche ihre üblichen Routen abzulaufen. »Wenn wir auf die Obdachlosen zugehen wollen, um ihr Leben zu verbessern, müssen wir wissen, wo sie sind«, erklärt Rønning. Sein Verdacht: Viele städtische Initiativen gehen ins Leere, weil Plätze oder Zeitpunkte mit den Augen der behördlichen Angestellten ausgesucht wurden, die nach Feierabend wieder in ihr festes Zuhause zurückkehren. Sein formuliertes Ziel: Parkbänke dort, wo sie gebraucht werden und kommunale Wärmestuben an Orten, an denen sich Obdachlose tatsächlich aufhalten.

Laut Rønning sind in den vergangenen Jahren viele ehemals öffentliche Flächen durch Privatisierung zu »No-Go-Areas« für Obdachlose geworden. Dadurch werde nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Sozialarbeiter das Navigieren in der Stadt schwieriger. Letztere seien früher die entsprechenden Treffpunkte einfach abgelaufen, die neuen Orte kennen sie nicht.

Für die Überwachung nutzte Rønning die gleichen Peilsender, mit denen seit einiger Zeit dänische Pflegeheime demente Bewohner ausrüsten, um sie schneller entdecken zu können, sollten sie den Weg zurück nicht finden oder länger außer Haus sein als gewollt.

Die Befürchtung, das so gewonnene Wissen könnte missbraucht werden, um Obdachlose aus dem Stadtbild zu verdrängen, weist Rønning zurück. Ausgrenzung durch Umbauten wie in vielen europäischen Städten - etwa durch unbequeme Bänke - seien lediglich eine äußerliche Korrektur, die soziale Not nur verschärfe. Zudem sei die Teilnahme freiwillig, die Ergebnisse würden anonymisiert. Das Tragen der GPS-Sender sei stets auf eine Woche begrenzt.

Tatsächlich gibt es kaum öffentlich Kritik an der Maßnahme, die zukünftig halbjährlich wiederholt werden soll. Odense ist in der glücklichen Situation, dass es der Stadt in den vergangenen Jahren mit einem Hilfsprogramm gelungen ist, die Zahl der Obdachlosen zu verringern, während sie in Dänemark insgesamt gestiegen ist. Insbesondere die Gruppe der 18- bis 24-Jährigen ist dabei gewachsen.

Um diesen Trend auch in ihrer Stadt umzudrehen, brauche es einen besseren Kontakt zu den Obdachlosen, so der Gedanke der Sozialbehörde. Dafür müsse der Staat eben auch zu ungewöhnlichen Maßnahmen greifen.