nd-aktuell.de / 03.08.2006 / Politik

Diskriminierung im Wiesbadener Amt

Familien aus Kosovo kämpft mit Unterstützung deutscher Freunde gegen die Abschiebung

Gitta Düperthal
Die Familie Begaj aus Kosovo, die seit fast 14 Jahren in Wiesbaden lebt, ist knapp der Abschiebung entkommen. Die Frankfurter Aktivistin Wiltrud Pohl hatte sich für die Begajs stark gemacht, der Fall kam in die Härtefallkommission des Hessischen Landtags. Doch dann gab es Diskriminierung im Amt.
Gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern aus Wiesbaden hat die Bürgerrechtlerin Wiltrud Pohl aus Frankfurt-Höchst, die sich für langzeitig hier lebende Kriegsflüchtlinge aus Kosovo einsetzt, 2300 Unterschriften für ein Bleiberecht der Familie Begaj gesammelt. Weil sich dennoch nichts bewegte, wandte sich Pohl Ende Juni direkt an Heidemarie Wieczorek-Zeuls Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Berlin mit der Bitte um Hilfe. Das Ergebnis war zunächst: ein Monat Aufenthalt und ein Jahr Arbeitserlaubnis. Vor kurzem liefen die Kennkarten der Familie wieder ab, die Begajs mussten erneut bangen. Arbeiten dürfte Raif Begaj noch, bleiben aber nicht, so die Aktenlage. Sie könne nicht fassen, »wie menschenunwürdig mit der Familie umgegangen wird«, sagt Pohl. Jetzt hat ein Mitglied der Härtefallkommission des Hessischen Landtags einen »Antrag auf vorzeitige Anwendung der Altfallregelung« für die Familie mit drei Kindern gestellt. Doch Wiltrud Pohl berichtete bei einer Kundgebung am vergangenen Wochenende in Höchst, »in der Wiesbadener Behörde herrscht Willkür«. Raif Begaj sei brüskiert worden, als er die ihm zugesicherte »Duldung« abholen wollte. »Der hat nichts dazu gelernt und ist schon wieder da«, habe ihm ein Mitarbeiter in der Behörde zugezischt, so Pohl weiter. Bemerkungen dieses Niveaus verwunderten ihn, erklärt der Leiter der Wiesbadener Ausländerbehörde, Winnrich Tischel. In eine »interkulturelle Schulung über drei Jahre« sei viel Geld investiert worden. Wenn man ihm Ross und Reiter nenne, werde er den Vorwürfen nachgehen. Die engagierte Frankfurter Bürgerin sagte, sie wolle sich telefonisch mit Tischel in Verbindung setzen und die Sache klären. Doch selbst wenn dieser Einzelfall geklärt würde, sei die Sache damit nicht vom Tisch, so Pohl. Die Familien dürfen oft nur allein, ohne Begleitung von Freunden, das Amtszimmer betreten. Hinterher heiße es dann: »Da steht Aussage gegen Aussage, es gibt keine Zeugen«, so die Höchster Aktivistin. Weiterhin bekam Begaj, obgleich der Fall seiner Familie für die Härtefallkommission bestimmt ist und diese erst im September tagt, wiederum nur eine »Duldung« für einen Monat erteilt. Raif Begaj muss jeweils für eine Folgebescheinigung pro Kind zehn Euro zahlen, für die Erwachsenen jeweils 20 Euro - macht 70 Euro monatlich für die fünfköpfige Familie. »Eine längere Duldung wäre sinnvoller gewesen, wenn jemand schon für die Härtefallkommission bestimmt ist. Fehler kommen vor«, räumt Tischel ein. Der Wiesbadener Rechtsanwalt Stephen Marquardt verweist darauf, dass die Behörden »beachtliche Spielräume haben«. Es sei stets möglich, nochmals eine Duldung zu erlassen: »Und zwar nicht nur für einen Monat, sondern für ein halbes Jahr, so lange bis die Innenministerkonferenz im November über die Altfallregelung entschieden hat.« Die »Schikanen der Wiesbadener Ausländerbehörde« seien kein Sonderfall in Hessen, meint Wiltrud Pohl. Raif Begaj, der als Koch im Wiesbadener Palasthotel unmittelbar gegenüber von der Hessischen Staatskanzlei arbeitet, habe zudem in der Vergangenheit immer wieder um seine Arbeitserlaubnis kämpfen müssen. Pohl vermutet dahinter ein Prinzip: »Indem man die Familie in die Sozialhilfe zwingt, schafft man damit automatisch einen Abschiebegrund.« Dies sei in Hessen »leider gängige Praxis«. So werde der Vorschlag des hessischen Innenministers Volker Bouffier (CDU) für die Altfallregelung, dass jeder bleiben kann, der seit sechs Jahren hier lebt, die deutsche Sprache kann, voll integriert ist, und keine Sozialhilfe bezieht, konterkariert, meint Pohl.