nd-aktuell.de / 09.10.2014 / Politik / Seite 4

Ehrgeizig

Charles Michel soll neuer Ministerpräsident Belgiens werden.

Olaf Standke

Hier der niederländischsprachige flämische Norden, dort der frankofone wallonische Süden, dazu eine »doppelte« Parteienlandschaft - belgische Regierungsbildungen sind meist eine komplizierte Angelegenheit. Höhepunkt war die Suche nach einer Koalition nach der Wahl 2010: 541 rekordträchtige Tage dauerte das Gezerre. So sind die vier Monate für die neue Mitte-Rechts-Regierung von Charles Michel für Brüsseler Verhältnisse ein Klacks. Seit dem Sommer hatten der Chef der liberalen Partei Mouvement Réformateur (MR) und der bisherige christdemokratische Ministerpräsident Flanderns, Kris Peeters, im Auftrag von König Philippe verhandelt. Zum Schluss gab es noch mal einen 29-stündigen Sitzungsmarathon, ehe Michels verkünden konnte: »Alle Partner haben vorgeschlagen, dass ich die Verantwortung als Premierminister übernehmen soll.«

Der 38-Jährige bekam sein politisches Talent gleichsam in die Wiege gelegt. Vater Louis Michel gehört zu den liberalen Granden im Lande und war Außenminister Belgiens wie EU-Kommissar. Sohn Charles trat schon mit 16 dem liberalen Jugendverband bei, leitete ihn später auch einige Jahre. Und er wurde mit 24 jüngster Minister in der Geschichte Belgiens. Noch vor seinem Jurastudium in Brüssel und Amsterdam hatte er vor 20 Jahren erstmals bei Provinzwahlen kandidiert. Seit 2004 Sprecher der Reformbewegung, übernahm der zugelassene Rechtsanwalt vor drei Jahren schließlich den Parteivorsitz. Und ganz nebenbei ist er 2006 noch zum Bürgermeister von Wavre, der Provinzhauptstadt Wallonisch-Brabants, gewählt worden - auch wenn das Amt oft ruhen muss.

Kein Wunder, dass Michel als zielstrebig und erfolgsorientiert gilt. Eigenschaften, die er in seiner neuen Funktion dringend braucht. Nicht nur, weil Belgien mit rund 100 Prozent der Wirtschaftsleistung hoch verschuldet ist. Seine frankophonen Liberalen sind die einzigen Vertreter des Südens in der Viererkoalition und erstmals regiert nun auch die Neu-Flämische Allianz (N-VA) mit. Sie strebt die Unabhängigkeit Flanderns und damit die Spaltung Belgiens an.