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Rollstuhlfahrer können nur noch durch die Mitte

Behindertenverbände kritisieren den Wegfall der vorderen Rampe bei den neuen Bussen der BVG

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.
Die BVG freut sich über ihre schicken neuen Gelenkbusse. Doch Rollstuhlfahrer und Sehbehinderte sind verärgert.

Ab nächstem Monat sollen die ersten neuen BVG-Gelenkbusse durch die Hauptstadt rollen, doch schon jetzt sorgen sie bei Behindertenverbänden für Ärger. »Wir nehmen diesen Rückschritt in Sachen barrierefreies Berlin nur zähneknirschend hin«, heißt es in einer Erklärung. Grund ist, dass es in den neuen Bussen nur noch einen barrierefreien Einstieg für Rollstuhlfahrer gibt. Die Rampe an der vorderen Tür entfällt. Das gilt auch für die neuen kurzen Eindecker, die die BVG bestellt hat.

Das Unternehmen begründet die Einsparung mit dem Gewinn an zusätzlichen Sitzplätzen. »13 Prozent mehr als bisher stehen zur Verfügung, alle im vorderen Teil des Busses«, sagt Sprecher Markus Falkner. Die zusätzlichen Plätze, darunter sechs statt bisher drei Klappsitze, kämen besonders Menschen mit Rollatoren und Sehbehinderten zugute. »Die sitzen gern vorn, um sich nicht zu den hinteren Plätzen durchdrängeln zu müssen.« Auch Rollstuhlfahrer würden profitieren, sagt Falkner. »Das Mehrzweckabteil am Mitteleinstieg ist doppelt so groß wie bisher, statt einem Rollstuhl und einem Kinderwagen können nun zwei Rollstühle und ein Kinderwagen sicher mitfahren.«

Außerdem, heißt es bei der BVG, sei der Vordereinstieg von Rollstuhlfahrern so gut wie nie genutzt worden. Dieses Argument lässt Bärbel Reichelt vom Berliner Behindertenverband, die selbst im Rollstuhl sitzt, nicht gelten. »Was ist, wenn der Bus durch ein Hindernis nur schräg die Haltestelle anfahren kann oder bei Eis und Schnee die hinteren Einstiege nicht geräumt sind?« Sie warnt davor, die einzelnen Behindertengruppen gegeneinander auszuspielen.

Die BVG hält die Lösung für einen Kompromiss, mit dem alle leben könnten. Auch die Busse in anderen Städten seien nur mit einer Rampe ausgerüstet. Ansonsten preist sie ihre 156 neuen Gelenkbusse, die ab November nach und nach auf die Berliner Straßen kommen und rund 50 Millionen Euro kosten, in den höchsten Tönen. Erstmals gibt es beim Schließen der Türen eine rote Warnanzeige, was insbesondere Fahrgästen mit Hörproblemen zugute kommt. Eine Bordsteinbeleuchtung erleichtert bei Nacht den Ein- und Ausstieg von mobilitätseingeschränkten Fahrgästen, die Rampe wird komplett ausgeleuchtet. Und am vorderen Einstieg sorgt eine Fußbodenheizung dafür, dass Schnee oder Nässe keine Rutschgefahr bilden.

Trotzdem kritisiert auch der Blinden- und Sehbehindertenverein die neuen Busse. Es fehlten immer noch Lautsprecher für Außenansagen. Laut BVG könnte es dabei Probleme mit dem Verkehrslärm geben. Untersucht würden derzeit noch zwei andere Varianten zur Information von Sehbehinderten: die »sprechende Haltestelle«, die ansagt, wann welche Busse ankommen, was aber beim gleichzeitigen Eintreffen oder gegenseitigem Überholen von Bussen auch problematisch sei. Und das Abrufen der Ankunft per App, was die BVG bisher offenbar als beste Lösung ansieht.

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