»Hier wird eine Allee totgeredet«

Widerstand gegen Rodung von Kastanien in Wiesbaden

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie ist für Motorfahrzeuge gesperrt und gilt als wertvolles Biotop: Wiesbadens Lesselallee mit ihren alten Kastanienbäumen. Sie liegt am Mainufer auf der Insel Maaraue am Zusammenfluss von Rhein und Main. Die Maaraue beherbergt Grünflächen, Schwimmbad, Sportplatz, Campingplatz und Kleingärten und dient auch vielen Mainzern zur Naherholung.

Seit einiger Zeit schon drängt der von einer CDU/SPD-Koalition dominierte Wiesbadener Magistrat unter der Federführung von Ordnungsdezernent und CDU-Kreischef Oliver Franz auf eine rasche Fällung der Kastanien, die Allee ist bereits mit zwei Meter hohen Metallzäunen abgesperrt. Die Pläne provozieren im Wiesbadener Ortsteil Kostheim starken Widerspruch. Die Darstellung des CDU-Manns, dass viele Bäume unheilbar krank seien und Fußgängern durch herabstürzende Äste Lebensgefahr drohe, können die Kritiker nicht nachvollziehen. Franz verhalte sich »wie ein Zahnarzt, der zur Schmerzbehandlung an einem Zahn das gesamte Gebiss ziehen will«, sagt Marion Mück-Raab von der lokalen Initiative »Rettet unsere Kastanien«. Zusammen mit anderen hat sie in den letzten Monaten öffentliche Aktionen organisiert und zahlreiche Unterschriften gesammelt.

»Hier wird eine Allee totgeredet und werden 220 000 Euro Steuergelder verplempert«, sagt der Forstwirt Christoph von Eisenhart Rothe von der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW). Schließlich sei nur eine kleine Minderheit der 74 Kastanien an der Allee unheilbar krank, die allermeisten Bäume seien gesund und dienten zudem auch schützenswerten Tierarten wie Fledermäusen als Ruhestätte.

Der Hinweis auf Pilzbefall und Lebensgefahr durch Astbruch sei nicht haltbar, meint auch der Göttinger Wissenschaftler und Baumexperte Ulrich Weihs, Autor einer gutachterlichen Expertise zur Lesselallee. Schließlich hätten die Stürme der letzten Jahre keine sichtbaren Schäden angerichtet. Eine jährliche Überprüfung der Bäume sei völlig ausreichend, die vom Magistrat verfügte Absperrung nicht rechtens. Pilzbefall gebe es überall. »Wenn wir prophylaktisch alle vermeintlich befallenen Bäume fällten, hätten wir hierzulande bald keine Bäume mehr, sondern nur noch Sträucher und Betonwüsten«, so Weihs.

»Der politische Weg ist zu Ende, jetzt haben die Gerichte das Wort«, meint Ronny Maritzen (Grüne), Umweltausschussvorsitzender im Wiesbadener Stadtparlament. In diesem Sinne hat die SDW jetzt beim Verwaltungsgericht Wiesbaden eine einstweilige Anordnung beantragt. Damit soll die Stadtspitze zu einer gesundheitlichen Begutachtung der 74 Bäume verpflichtet werden sowie zur Realisierung aller gesetzlich vorgeschriebenen naturschutz- und artenschutzrechtlichen Prüfungen, sagt Christoph von Eisenhart Rothe. Die SDW schlägt eine Verjüngung der Allee vor, bei der nur unheilbar kranke Bäume gefällt, die Kastanien mit leichten Schäden baumchirurgisch behandelt und Lücken mit Neupflanzungen gefüllt werden könnten.

Weil Biotope wie die Lesselallee unter Naturschutz stünden, müsse Hessens Umweltministerin Priska Hinz (Grüne) auf Basis des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Bundesnaturschutzgesetz endlich für den Erhalt der Allee eintreten, fordert Hartmut Bohrer von der Wiesbadener Rathausfraktion LINKE&PIRATEN. Ein Insider argwöhnt: »Die Besessenheit, mit der Franz die Rodung durchboxen will, lässt auf bislang geheime Entwicklungspläne für die Maaraue schließen.«

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