Brillante Kandidaten, überforderte Juroren

Nicht immer erfüllt die Verleihung der Nobelpreise die in sie gesetzten Erwartungen.

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Seit nunmehr 113 Jahren werden in Stockholm und Oslo alljährlich die Nobelpreise vergeben. Und zwar auf Anregung des schwedischen Industriellen Al-fred Nobel, der 1895 testamentarisch die Bildung eines Fonds verfügt hatte, »dessen jährliche Zinsen als Preise denen zuerteilt werden, die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben«.

Schon sehr früh zeigte sich, dass die zeitliche Vorgabe Nobels nicht einzuhalten ist. Denn namentlich in den Kategorien Medizin, Physik und Chemie übersteigt es gewöhnlich die Kompetenz der preisverleihenden Institutionen, den Nutzen einer Entdeckung so rasch zu erkennen. Und so werden die wissenschaftlichen Nobelpreise bis heute an Personen vergeben, deren bahnbrechende Entdeckungen oft Jahre oder Jahrzehnte zurückliegen. 1986 zum Beispiel wurde der 79-jährige Ernst Ruska für die Erfindung des Elektronenmikroskops geehrt, die ihm bereits 1931 gelungen war. Auch Max Born, der in den 20er Jahren die Quantenmechanik mitbegründet hatte, musste fast 30 Jahre warten, ehe ihm 1954 der Nobelpreis zuteil wurde, den sein Schüler Werner Heisenberg schon 1932 erhalten hatte.

Heisenberg war damals erst 31 Jahre alt. Nur ein Laureat war noch jünger, der britische Physiker William Lawrence Bragg, der 1915 als 25-Jähriger zusammen mit seinem Vater den Nobelpreis erhielt - »für die Erforschung der Kristallstrukturen mittels Röntgenstrahlen«. Den Gegenpol dazu bildet der US-Chemiker Raymond Davis Jr. Als dieser 2002 für seine Arbeiten zum Nachweis kosmischer Neutrinos den Physiknobelpreis entgegennahm, hatte er das 88. Lebensjahr bereits überschritten.

In den Genuss, gleich zweimal in einer wissenschaftlichen Sparte geehrt zu werden, kamen bisher nur drei Personen: Marie Curie (Physik 1903, Chemie 1911), der US-Amerikaner John Bardeen (Physik 1956 und 1972) sowie der Brite Frederick Sanger (Chemie 1958 und 1980). Dass Marie Curie hier an prominenter Stelle auftaucht, kann über eines freilich nicht hinwegtäuschen: Die Nobelpreise blieben zumeist Männern vorbehalten. In Zahlen ausgedrückt: Unter den insgesamt 575 Laureaten in den Naturwissenschaften findet man nur 17 Frauen: elf in der Sparte Medizin, vier in der Sparte Chemie und gar nur zwei in der Sparte Physik. Neben Marie Curie brachte es hier allein die deutsch-amerikanische Kernphysikern Maria Goeppert-Mayer (1964) zu Nobelehren.

Wie bei allen Auszeichnungen gab es auch bei der Verleihung des Nobelpreises krasse Fehlentscheidungen. 1926 zum Beispiel erhielt der dänische Pathologe Johannes Fibiger die Medizin-Medaille. Er hatte nach Auffassung des Nobelkomitees den Nachweis erbracht, dass ein kleiner Fadenwurm Magenkrebs auslöst. Doch das war, wie sich später herausstellte, ein Irrtum. 1923 wurde der Kanadier John Macleod »für die Entdeckung des Insulins« mit dem Medizinpreis ausgezeichnet. Doch auch hier lag die Stockholmer Jury daneben. Denn Macleod befand sich gerade im Urlaub, als Angestellten seines Instituts jene wissenschaftliche Großtat gelang. Preisgekrönt wurde auch der portugiesische Neurologe António Egas Moniz, der vorgab, er könne mittels operativer Schnitte durchs Gehirn Psychosen heilen. Ein trügerisches Versprechen. Denn das auch als Lobotomie bezeichnete Verfahren war nicht nur nutzlos. Es veränderte die Persönlichkeit von Patienten und machte viele zu Pflegefällen.

1986 ging der Medizinnobelpreis an die italienische Neurobiologin Rita Levi-Montalcini. Sie hatte eine Substanz gefunden, die das Wachstum von Nervenzellen anregt. Ganz nach den Idealen der Wissenschaft war diese Ehrung indes nicht erfolgt. Denn wie Jahre später der Chef der italienischen Arzneimittelbehörde erklärte, hatte der Pharmakonzern Fidia 20 Millionen Mark ausgegeben, um das Nobelkomitee im Sinne von Levi-Montalcini zu beeinflussen. Der Grund: Fidia wollte den Absatz seines angeblich nervenheilenden Medikaments »Cronassial« durch den Hinweis steigern, dieses beruhe auf den Forschungen einer Nobelpreisträgerin.

Die Werbestrategie funktionierte, anfangs zumindest. Doch bereits 1993 musste Cronassial wieder vom italienischen Markt genommen werden. Denn statt Nervenleiden zu heilen, hatte es in manchen Fällen solche erst ausgelöst. Obwohl sich viele Medien begierig auf diesen Skandal stürzten, blieb man in der Fachwelt erstaunlich gelassen. Und auch am Karolinska-Institut in Stockholm, das alljährlich den Medizinnobelpreis vergibt, sah man keinen Grund, das Geschehen sonderlich kritisch zu reflektieren. Stattdessen erklärte der Medizinprofessor Kjell Fuxe stellvertretend für seine Kollegen: Mit einem gewissen »moralischen Dilemma« müsse auch ein Nobeljuror hin und wieder leben.

Dass bei der Nobelpreisvergabe gehörig Lobbyarbeit betrieben wird, ist inzwischen ein offenes Geheimnis. Vor allem Forschungseinrichtungen aus den USA verstünden es, ihre Kandidaten im Vorfeld wirkungsvoll in Szene zu setzen, sagt die US-Soziologin Harriet Zuckerman, die noch zwei weitere Gründe für die anhaltende Dominanz ihrer Landsleute anführt: Erstens seien die Gutachter renommierter Fachzeitschriften in der Mehrzahl Amerikaner, und zweitens neigten US-Nobelpreisträger dazu, bevorzugt ihre eigenen Landsleute vorzuschlagen. Für Forscher aus anderen Ländern sei es daher oft schwierig, gegen diese akademische Übermacht zu bestehen. mak Foto: dpa/Kay Nietfeld

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