Bürgerservice am Wohnzimmertisch

Brandis soll als Sachsens Landesmodell zeigen, wie sich Verwaltungsabläufe bürgernah optimieren lassen

  • Harald Lachmann, Brandis
  • Lesedauer: 4 Min.
Das sächsische Brandis dient dem Freistaat für drei Jahre als Vorreiter in Sachen Verwaltungsmodernisierung, Bürgernähe und Kostenoptimierung. Doch wie kam es dazu - und was bedeutet das?

Obwohl sich im Osten schon viel tat in Sachen Behördenverschlankung: Noch immer beschäftige Sachsen »im Vergleich zu westlichen Bundesländern überdurchschnittlich viel Personal«, rügt Peter Sondermann, Abteilungsleiter für Verwaltungsmodernisierung und Informationstechnologie im Dresdener Justizministerium. Deshalb schrieb der Freistaat dieses Jahr einen Förderwettbewerb um Sachsens »Innovationskommune 2014-2016« aus. Gesucht wurden Städte ab 5000 Einwohnern mit Interesse an einer nachhaltigen Optimierung ihrer Verwaltungsabläufe. Sie sollten dazu etwa ihren Internetauftritt besonders bürgerfreundlich umgestalten, ihren Einwohnern den Zugang zur Verwaltung über zeitgemäße Medien spürbar erleichtern und womöglich auch schon mit eigenen Ideen zu Staatsmodernisierung und Kostenoptimierung schwanger gehen.

21 Kommunen bis hin zur sächsischen Landesmetropole Dresden meldeten sich. Doch den Zuschlag erhielt Brandis, eine 10 000-Einwohner-Stadt im Speckgürtel von Leipzig. Anno 1121 erstmals urkundlich erwähnt, kannte man sie bisher eher durch ihr halb saniertes barockes Schloss, einen früheren Militärflugplatz, spektakuläre Steinbrüche sowie als Standort eines der weltweit größten Solarkraftwerke. Mitte Oktober unterzeichnete Sondermann mit Bürgermeister Arno Jesse (SPD) ein entsprechendes Kooperationspapier, das nicht zuletzt durch eine siebenstellige Zahl besonderes Gewicht bekommt. Denn eine Million Euro lässt sich der Freistaat jenen Modellversuch kosten, den Brandis nun stellvertretend für das Land betreibt.

Doch um Geld allein gehe hierbei nicht, ist von beiden Seiten zu hören, auch wenn in den Amtsstuben durch das avisierte interaktive Bürger- und Beteiligungsportal natürlich Ressourcen frei werden. Eher war der Sieger auch unter dem Aspekt gekürt worden, dass er liquide ist. »Ja, wir sind handlungsfähig«, sagt Jesse. »Der Haushalt ist ausgeglichen. Und überhaupt - wir haben immerhin einen Haushalt, was weiß Gott nicht jede sächsische Kommune sagen kann …« Mithin finanziere der Freistaat nun für drei Jahre zwar zusätzlich anfallende Projektkosten, aber natürlich nicht die laufenden Ausgaben für Rathaus und Personal.

Für Brandis sprach fraglos, dass der Stadtrat quer durch alle Parteien - die LINKE stellt hier mit dem populären Buchhändler Ulrich Gäbel den Ortsvorsteher - einstimmig die Bewerbung unterstützte. Zudem sei halt das »Gesamtteam im Rathaus willens und in der Lage ist, ein solches Vorhaben zu stemmen und Brandis damit zu einem sachsenweiten Vorreiter zu machen«, ist der Bürgermeister sicher. Auch die überschaubare Größe der Stadt sieht er als Vorteil: »Dies erlaubt später ein besseres Übertragen der Erfahrungen und Ergebnisse auf viele vergleichbare Kommunen.«

Dies mag sein, doch ein sehr maßgebliches Kriterium war wohl der 52-jährige Jesse selbst. Erst 2013 - indes gleich im ersten Gang mit überraschend klarer Mehrheit - ins Amt gewählt, steht der Nordwestdeutsche ein Stück weit selbst für Innovation und deren erfolgreiche Vermarktung. Denn vor seinem Wechsel in die Kommunalpolitik führte er von Brandis aus eine eigene Marketingagentur, mit der er bereits die Wiederwahl seines SPD-Parteifreundes Burkhard Jung zum Oberbürgermeister von Leipzig erfolgreich managte.

Wenn die Brandiser Bewerbung in Dresden also besonders durch ihren »ganzheitlichen und strukturierten Ansatz« und eine »professionelle Präsentation« beeindruckte, so zeugte das natürlich auch von Jesses medientechnisch geschulten Qualitäten. Umso mehr werden ihn die unterlegenen Mitbewerber nun natürlich daran messen, wie er seine Ideen und Entwürfe für mehr Transparenz und Bürgerfreundlichkeit der Verwaltung sowie einen engeren Draht zum örtlichen Mittelstand mit Leben erfüllt. Hierzu gehört etwa ein Prozessmanagement, das die internen Verwaltungsprozesse analysiert und latent optimiert. Über das E-Government-Portal Amt24 sollen zudem Einwohner künftig Ausweise oder Pässe aus dem eigenen Wohnzimmer beantragen können.

Daneben avisiert Jesse sogenannte freiwillige Komponenten, wie die Aufschaltung der Behördennummer 115 oder einen »mobilen Bürgerkoffer«: Mit diesem suchen Amtsmitarbeiter künftig Einwohner auf, so dass diese ebenfalls von daheim etwa Beglaubigungen und Führungszeugnisse beantragen, Grund- und Hundesteuern bearbeiten lassen können. Über einen Mängelmelder - einen spezielle App im Handy - kann zudem bald jeder, der es will, Ärgernisse im Stadtbild sofort an die richtige Adresse im Rathaus funken.

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