Bücher statt Bergwerk

Man-Booker-Price

  • Barbara Barkhausen
  • Lesedauer: 3 Min.

Richard Flanagans eigene Geschichte wäre einen Roman wert: In der Tradition des australischen »Underdogs« stammt der heute 53-Jährige Autor aus einer ärmlichen Bergwerksstadt mitten im Regenwald der australischen Insel Tasmanien. Seine eigenen Großeltern waren noch Analphabeten. Jetzt hat er die im englischsprachigen Raum wichtige Literaturauszeichnung Man-Booker-Preis erhalten.

Nach der Abgabe seines jetzigen Gewinner-Romans »The Narrow Road to the Deep North« vor anderthalb Jahren hatte der Schriftsteller nicht gewusst, wie es finanziell weitergehen sollte. »Als ich dieses Buch fertig hatte, dachte ich darüber nach, welche Arbeit auch immer ich in den Minen im Norden Australiens bekommen könnte«, sagte er während der Pressekonferenz nach der Preisvergabe. Das Preisgeld (50 000 Pfund, umgerechnet 63 000 Euro) bedeute für ihn nun, dass er weiterhin schreiben könne.

Mit seinem neuen Roman ist Richard Flanagan emotional eng verflochten. In dem Buch arbeitet er die Erinnerungen seines Vaters aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges auf, als dieser als Kriegsgefangener der Japaner an der Thailand-Burma-Eisenbahn mitarbeitete. Im Buch selbst geht es um einen jungen Arzt, der verzweifelt versucht, das Leben seiner Kameraden zu retten, während ihn immer wieder Erinnerungen an die Liebesaffäre mit der jungen Frau seines Onkels zwei Jahre zuvor heimsuchen.

Die 450 Kilometer lange Thailand-Burma-Eisenbahn wird häufig als Todeseisenbahn bezeichnet, weil während ihrer etwa einjährigen Bauzeit in den Jahren 1942 und 1943 fast 100 000 asiatische Zwangsarbeiter und 13 000 alliierte Kriegsgefangene ihr Leben verloren. Die unmenschliche Behandlung durch die Japaner, die harte Arbeit, das feucht-heiße Dschungelklima und Tropenkrankheiten wie Malaria sollen die Arbeiter geradezu dahingerafft haben. Es wird geschätzt, dass im Verhältnis jede verlegte Holzplanke ein Menschleben forderte.

»Meine fünf Geschwister und ich wuchsen als die Kinder der Todeseisenbahn auf und wir trugen als Konsequenz viele unaussprechbare Dinge in uns und ich begriff, dass, wenn ich weiter schreiben wollte, ich dieses Buch schreiben müsse«, erklärte Flanagan seine Beweggründe für das Buch. Sein Vater habe ihm vertraut, ihm mit dem Buch gerecht zu werden. »Das letzte Mal sprachen wir an dem Morgen, als ich das fertige Manuskript mailte«, sagte Flanagan. Er habe seinem Vater gesagt, dass das Buch fertig sei. »Es mag nicht damit in Verbindung stehen, aber an diesem Abend ist er dann gestorben.«

Mit der Preisvergabe bestätigt die Jury des Man-Booker-Preises erneut, dass sie historische Romane bevorzugt. Erleichterung herrschte vermutlich darüber, dass der Preis nach Australien ging, das im Staatenverbund des Commonwealth ist, nachdem seit 2014 erstmals auch englischsprachige Autoren aus anderen Ländern zugelassen waren, solange ihre Bücher auch in Großbritannien erschienen sind. Viele beschworen deswegen bereits eine amerikanische »Übernahme« des Literaturpreises herauf.

Flanagan ist der vierte Australier, der den Man-Booker-Preis gewinnt. Vor ihm hatten Thomas Keneally, Peter Carey und DBC Pierre die 1969 etablierte Auszeichnung erhalten. Im vergangenen Jahr war der Preis nach Neuseeland gegangen. Damals hatte die erst 28 Jahre alte Eleanor Catton, die bisher jüngste Gewinnerin des Preises, ihn für ihren historischen Roman »The Luminaries« erhalten.

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