Wo das ewige Eis schmilzt im Drink

Der Linkshedonist und Songschreiber Jens Friebe hat ein neues Album veröffentlicht. Jetzt stellt er es live in Berlin vor

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 4 Min.

Kann sich noch jemand erinnern? An »Lawinenhund«, den Smash-Hit vom Debütalbum Jens Friebes, das vor beinahe zehn Jahren erschien? Da hieß es: »Ich möchte dir dienen und/Ich möchte dir Schnaps geben/Nenn mich Lawinenhund/Ich suche Leben.« Das war ein schöner Liebesschlager, mit Wumms und elektrischer Gitarre gespielt und fernab von Tränen-lügen-nicht- und Herzilein-Geschmachte.

Es steht außer Frage, dass Jens Friebe, seines Zeichens Songwriter, Sänger und Gitarrist, der auch als Kolumnist, literaturgeschichtlich beschlagener Linkshedonist, Faktotum der Berliner Ausgehgesellschaft und »Vorzeige-Genderboy« (»Missy Magazine«) von sich reden machte und der überraschenderweise nächstes Jahr auch schon 40 wird, nicht nur ein ausgezeichneter Songtexter ist, sondern auch ein Händchen für einprägsame, griffige Albentitel hat.

»Das mit dem Auto ist egal, Hauptsache dir ist nichts passiert« hieß beispielsweise seine im Jahr 2007 erschienene Platte. »Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus« lautet demnach folgerichtig der Titel seiner soeben erschienenen Liedersammlung. »Darüber kann man sich schon mal zehn Minuten freuen«, heißt es dankbar in der »Süddeutschen Zeitung«. Denn wo andere ihren Alben Titel geben wie »Farbenspiel« (Helene Fischer) oder »Stadtrandlichter« (Clueso), ist man dankbar für jedes noch so kleine Fitzelchen Restoriginalität.

Ansonsten gilt: Wo Friebe draufsteht, ist Friebe drin. Das hier ist keine Konfektionsware der Konzerne. Früher kamen Friebes Platten, wie anderes, was hierzulande die Bezeichnung Musik verdient, aus dem Hause Alfred Hilsberg (Zickzack). Die neue erscheint nun beim Berliner Label Staatsakt, wo ja anscheinend früher oder später alles erscheint, was dem langweiligen und strukturkonservativen Musikbetrieb zu modern, zu geistreich, zu verspielt, zu wenig bierzeltkompatibel ist (Andreas Dorau, Die Türen, Jacques Palminger, Christiane Rösinger, Ja, Panik). Friebe ist, so ist zu mutmaßen, das, was man gemeinhin einen poplinken Melancholiker nennt. Der österreichischen Tageszeitung »Kurier« sagte er: »Das Deprimierende ist, dass die Linke auch keinen Gegenentwurf hat. Bewegungen wie Occupy waren ein tolles Signal, aber eben auch nur das. Das liegt an der höchst verständlichen Scheu der Linken vor Parteien, Hierarchien und Organisationen.«

Als linker Musiker steht Friebe auch deshalb »als sympathischer Solitär in der deutschsprachigen Poplandschaft herum« (»Tagesspiegel«), weil er beim Schreiben politischer Lieder nicht die immergleiche klumpige, weinerliche Zeigefingerlyrik formt, die nach sozialdemokratischem oder linksfolkloristischem Forderungskatalog klingt und nach Volksküche müffelt, sondern die reinste Poesie zusammendichtet. Zu federnden New-Wave- und Discobeats der 80er-Jahre-Schule erklärt Friebe etwa gleich zu Beginn seines neuen Albums in einfachen Worten die Grundregeln des hiesigen Gesellschaftssystems wie folgt: »Das Spiel heißt Hölle oder Hölle/Machst du mit? Machst du mit?/Die einen treten auf der Stelle/Die anderen sind die Stelle, auf der man tritt.« Ein ebenso heiteres wie kapitalismuskritisches Agitpopstück. Danach säuseln Streicher und es werden Uuuuhs und Aaaahs geseufzt: »Wir gehen hin, wo die Dinge verschwimmen/Wo das ewige Eis schmilzt im Drink.«

Auch auf weiteren Stücken sind der Abschied, das Ende, die Apokalypse, der Tod die bestimmenden Themen, die mit leichter Hand dargeboten werden. Am ergreifendsten wohl in der ins Deutsche übertragene Version des ursprünglich von dem schottischen Künstler Momus stammenden Lied »What will Death be like«: »Der Tod wird nicht sein wie ein Ein-Euro-Job, den man für immer behält.«

Erfreulich ist, dass Friebe macht, was er will. Anders gesagt: Hier herrschte bei Komposition und Produktion offenbar mehr künstlerische Freiheit als bei Bertelsmann, Sony, Universal & Co. Friebes eingängig-beschwingtem, druckvollem Kaugummi- und Kinderzimmer-Pop hört man jede Sekunde an, dass die Musik ganz ohne die Vorgaben irgendwelcher Plattenfirmenbosse und Musikindustriemanager zustandegekommen ist. Auch findet man hier weder die handelsüblichen stumpfen Mitklatschhymnen noch den enervierenden Pseudo-Tiefsinn, den man zuhauf in deutschsprachigen Popschrottproduktionen vorfindet.

Friebe scheint Gitarren und blecherne 80er-Jahre-Synthiebeats zu bevorzugen, hat aber auch keine Angst vor der großen Geste, vor der schwelgerischen Ballade und zart hingetupften Klaviertönen, vor Soul und Glam. Schön.

Jens Friebe: Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus (Staatsakt/Rough Trade). Konzert im »Bi Nuu«, Berlin, am 16.10.

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