Die Gipfelstürmer vom Breitengrad 51

Sechs Spitzenwinzer aus dem Saale-Unstrut-Tal setzen auf die Kraft der Ursprünglichkeit.

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 6 Min.

Goldgelb schimmert der Riesling im Glas, das der Naumburger Winzer Matthias Hey versonnen betrachtet, als hielte er Zwiesprache mit dem Wein. Ein Bild, das so falsch nicht ist, denn länger als ein Jahr waren beide intensiver zusammen als so manches Paar. 17 Mal, so sagt man, muss der Winzer um jeden Weinstock herumlaufen, ehe er die Trauben ernten kann. Lang ist die Liste der Arbeiten im Weinberg, schon der Sächsische Kurfürst Christian I. (1560-1591) schrieb in seiner »Weinbürgs-Ordnung« von 1588 insgesamt 23 vor. Sie beginnen im Winter mit dem »Aufziehen, Reumen und Schneiden« und enden im Spätherbst mit »Weinlese, Pfalziehen, Tüngen und Decken«. Zur Arbeit im Keller schweigt er, Hey indes weiß ein Lied davon zu singen: Denn ehe der fertige Wein in die Flaschen gefüllt wird, verbrachte der Winzer viele Tage und so manche Nacht bei ihm, hat ihn gehegt, gepflegt, gehätschelt und sich jede Menge Sorgen um sein Wohlbefinden gemacht. Doch jetzt, da er verführerisch im Glas duftet, sind alle Sorgen um den 2013er vergessen. Die um den 2014er indes haben längst begonnen, noch etwa zehn Tage dauert die Lese. »Das wird ein schwierigerer Jahrgang«, sagt der junge Winzer, »doch ich bin guter Hoffnung, dass der Wein und ich uns auch in diesem Jahr wieder gut im Keller verstehen.«

Das Weingut von Matthias Hey findet man in +51° 9' 36.58'' N, +11° 45' 50.44'' O. Für alle, denen diese überexakten Koordinaten etwas zu spezifisch sind: Fahren Sie in den Naumburger Ortsteil Roßbach, Weinberge 1a. Dort, inmitten malerisch anzuschauenden extremen Steillagen von über 50 Prozent Gefälle findet man den 32-Jährigen, für den seine Weine vor allem ein Lebensgefühl sind, das aus Genuss und dem Bewusstsein für die Kultur und die Landschaft besteht, die sich darin spiegeln.

Das sehen auch die Winzer der anderen fünf Weingüter aus dem Saale-Unstrut-Tal so, die sich vor gut zwei Jahren zur Vereinigung »Breitengrad 51« zusammengeschlossen haben: Winzerhof Gussek (+51° 5' 43.45'' N, +11° 41' 10.40'' O) und Weingut Frölich-Hake (+51° 9' 36.58'' N, +11° 45' 50.44'' O) aus Naumburg, Weingut Born aus Höhnstedt (+51° 9' 36.58'' N, +11° 45' 50.44'' O), Weingut Böhme (+51° 12' 48.64'' N, +11° 45' 25.24'' O) aus Gleina sowie das Landesweingut Kloster Pforta (+51° 9' 5.51'' N, +11° 48' 17.71'' O).

Dass die Weine aus dem nördlichsten Qualitätsanbaugebiet der Welt auf dem 51. Breitengrad eine sehr gute Qualität haben, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben, auch wenn manche Weintrinker noch immer der Meinung sind, dass alles, was jenseits von Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Mosel wächst, nicht der Erwähnung wert sei. Unter Kennern hat sich der Wein, den die mehr als 50 Weingüter der Region aus den Trauben produzieren, die auf rund 765 Hektar wachsen, längst herumgesprochen.

Doch den sechs Visionären von Breitengrad 51 reichte es nicht, nur sehr gute Weine zu machen, sie wollten Weine von »einzigartiger Herkunft mit unverwechselbarem Profil« kredenzen. »Das geht nun mal nicht, wenn man eine Rebsorte aus Großlagen verarbeitet, die sich aus vielen Weinbergen an unterschiedlichen Standorten mit unterschiedlicher Bodenstruktur zusammensetzt«, erklärt einer der Gründungsväter der Vereinigung, André Gussek. »Wirklich große und außergewöhnliche Weine können nur entstehen, wenn man sich auf den Wert der eng gefassten Herkunft besinnt und zu den alten klassischen Einzellagen zurückkehrt. Je enger die Herkunft, desto höher die Qualität.« In einem Manifest verpflichteten sich die sechs Winzer, nach strengen Vorgaben zu arbeiten: Zu diesen gehört nicht nur, dass für Breitengrad-51-Weine nur typische Rebsorten von alten steilen Weinbergslagen verarbeitet werden dürfen, sondern auch die Begrenzung der höchstzulässigen Erntemenge auf 55 Hektoliter je Hektar, was bedeutet, dass schon während des Reifeprozesses viele Trauben weggeschnitten werden, so dass alle Kraft in die Übrigen fließen kann. Nur so können die Weine entstehen, die als ein »Breitengrad 51« geadelt werden. Jeder der sechs Winzer darf zudem in jedem Jahr nur maximal einen roten und einen weißen Wein seines Sortiments zur Prüfung für dieses Qualitätslabel einreichen. Zugelassen sind ausschließlich Weine der in der Region Saale-Unstrut klassischen Burgundersorten, Traminer, Silvaner, Riesling sowie der Blaue Zweigelt. Das Label bekommen nur die Weine, die die strenge Prüfung bestehen. Einig sind sich die Winzer auch darin, dass es in Jahren, in denen es die Natur mal nicht so gut mit den Weinbergen an Saale und Unstrut meint und deshalb kein Wein machbar ist, der den hohen Qualitätsansprüchen genügt, auch keinen »Breitengrad 51« gibt.

Die letzten Jahre spielte die Natur aber mit. Matthias Hey konnte die Qualitätskriterien 2011 mit einer Cuvée aus Weiß- und Grauburgunder sowie Riesling und 2012 und 2013 mit je einer Cuvée aus Weiß- und Grauburgunder erfüllen, André Gussek mit einem 2011er Weißburgunder, einem 2012er Zweigelt und einem Grauburgunder von 2013.

Ob man mal die Breitengrad-51-Weine probieren will oder einen anderen der zahlreichen edlen Rebensäfte - ein Ausflug in die Saale-Unstrut-Region lohnt auf jeden Fall. Seit mehr als 1000 Jahren wird hier Wein kultiviert, er prägte die Landschaft und die Menschen. Wenn alles gut geht, dann wird diese geschichtsträchtige Kulturlandschaft im nächsten Sommer in die Familie der UNESCO-Weltkulturerbestätten aufgenommen. Einer der leidenschaftlichen Welterbebotschafter ist Matthias Hey, für den der heimische Wein nicht nur ein Ausdruck für Bodenständigkeit ist, sondern vor allem ein Kulturgut. Wenn es ihn auch nach dem Abitur im renommierten Kloster Pforta zunächst zum Weinbaustudium ins hessische Geisenheim und später nach Italien verschlug, letztlich waren es die heimischen Weinberge mit ihren Muschelkalk- und Buntsandsteinböden, der Naumburger Dom, die Burgen »an der Saale hellem Strande« und die bodenständigen Menschen, die ihn zurück in die Heimat zogen. Der 32-Jährige zählt zu den größten Winzertalenten weit über das Saale-Unstrut-Tal hinaus. Sein Weingut hat sich inzwischen aber auch zu einem Treffpunkt für Freunde des guten Essens und der Literatur entwickelt. Den ganzen Sommer über finden hier zahlreiche Veranstaltungen statt, Matthias Hey lädt Künstler ein, es gibt Lesungen, Konzerte, Diskussionsrunden über Gott und die Welt und natürlich beste Weine.

Im Moment aber hat er alle Hände voll zu tun im Weinberg, die letzten Trauben müssen von den Reben, danach beginnt die Arbeit im Keller. Dort übrigens lagert auch ein Zweigelt, den er im nächsten Jahr der gestrengen Prüfungskommission als »Breitengrad 51« vorstellen will. Ein bisschen hätscheln will er ihn noch, bevor es im Frühjahr soweit ist.

Infos

www.breitengrad51.de

Alljährlich im August findet eine öffentliche Verkostung der aktuellen Breitengrad-51-Weine in Naumburg statt. Der genaue Termin wird auf den Websites der Vereinigung und der einzelnen Mitglieder veröffentlicht.

www.weinguthey.de
www.winzerhof-gussek.de

Saale-Unstrut-Tourismus:
www.saale-unstrut-tourismus.de

www.weinbauverband-saale-unstrut.de

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