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Des Glückes Unterpfand?

Die deutsche Teilung war historisch der Normalfall. Von Matthias Krauß

  • Lesedauer: 4 Min.

Dieser Tage war die deutsche Einheit wieder einmal ein Feiergrund. In einem Jahr wird sie 25 Jahre alt. Im Zentrum stehen aus solchem Anlass bis heute die 1990 aufgenommenen Bilder vom Tanz auf der Mauer wie auf den Wällen einer eroberten Festung.

Eine geschichtliche Selbstverständlichkeit ist die deutsche Einheit keinesfalls. In der mehr als tausendjährigen Reichsgeschichte der Deutschen war die Einheit der Nation die Ausnahme und die allerlängste Zeit für die Herrschenden kein Begriff. Das unterschied Deutschland etwa von Frankreich, England, Spanien oder Russland, wo sich die Politik schon seit Jahrhunderten in einem »einheitlichen« staatlichen Gefäß vollzog. Die staatliche deutsche Einheit gab es zwischen 1871 und 1945; sie war von den bürgerlichen Kräften angestrebt und von den regierenden adligen schließlich gewährt worden.

Welche Folgen hatte diese Einheit für die Welt? Vor allem dies: zwei von Deutschland ausgehende Weltkriege, Abermillionen Tote, sechs Millionen ermordete Juden, wachsenden Antisemitismus, die Faschisierung des deutschen Volkes. Als es mit der deutschen Einheit vorbei war, da war deutsch keine Nationalitätenbezeichnung mehr, sondern ein Steckbrief. Die Ergebnisse der deutschen Einheit lassen sich grauenvoller kaum denken - für die europäischen Nachbarn wie für die Deutschen selbst.

Auf dieses schreckliche Kapitel folgte wieder eine Teilungsphase. Unter den wachsamen Augen der Besatzungsmächte entstanden zwei deutsche Staaten, die einander nicht wohlgesonnen waren. Im Einklang mit der Historie stand dies allemal, die Deutschen konkurrierten schon immer miteinander nach Herzenslust, sie führten gegeneinander sogar Kriege und lebten in Ländern, von denen die einen schon immer mehr nach Westen blickten, die anderen mehr nach Osten. Das Reich in der Mitte Europas war seiner geografischen Lage nach zu solchem Dualismus verurteilt. So gesehen war die Lage nach 1945 eine Fortsetzung des historischen Normalzustands.

Auch wenn es seltsam klingt, aber die erneute deutsche Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg wurzelte in einem Punkt, in dem sich die Besatzungsmächte so einig waren wie in keinem zweiten: Das besiegte Deutschland sollte in Besatzungszonen verwaltet werden. Von hier aus ergab sich alles. Denn weder war von der Sowjetunion zu verlangen, auf ihrem Zonengebiet die Herrschaft von Banken, Konzernherren und Junkern wieder zu installieren, noch von amerikanischen oder britischen Behörden, ihre Zonen nach sozialistischen Grundsätzen zu organisieren.

Die Spaltung wurde vorangetrieben - zunächst offensichtlicher von der westlichen Seite. Auch wenn es heutige Geschichtsaufarbeiter nicht gerne hören: Die Mehrzahl der maßgeblichen deutschen Politiker in den Westzonen nahm spätestens ab 1947 Kurs auf einen westdeutschen Separatstaat. Die Einheit bedeutete Kanzler Adenauer keineswegs alles, nicht einmal viel. Mittels Währungsreform war zuvor der deutsche Osten pekuniär abgesprengt worden. Bundesrepublik und Bundeswehr wurden gegründet, lange bevor Ostdeutschland vergleichbare Strukturen errichtete. Die Einheit war dahin, die Spaltung war perfekt und wurde 1961 mit dem Mauerbau äußerlich in aller Form festgelegt. Dem befreundeten Ausland war es allemal recht. »Ich liebe Deutschland. Ich liebe es so sehr, dass ich zufrieden bin, weil es gleich zwei Deutschlands gibt«, brachte es der französischer Schriftsteller François Mauriac auf eine Jahrzehnte in Europa gültige Formel.

Und was war die Folge der Spaltung? Eine geradezu unverdiente Positiv-Entwicklung. Die Bundesrepublik wurde technologische Führungsmacht im Westen, die DDR im Osten. Der Lebensstandard der Westdeutschen war der höchste im Westen, der der DDR-Bürger der höchste im Osten. Beide Staaten waren bemüht, historische Schuld abzutragen. Es gelang der Bundesrepublik früher, der DDR etwas später, internationale Anerkennung zu erringen. Die deutsche Spaltung hat diese Entwicklung vermutlich beschleunigt. Denn jegliches Ausland hatte einen Teil Deutschlands, auf den es sich positiv beziehen konnte.

Was auch immer 1990 für die deutsche Einheit gesprochen hat, die historischen Erfahrungen waren es ganz bestimmt nicht. Weder ist die deutsche Einheit das Beste gewesen, was es in der Welt gegeben hat, noch war die deutsche Teilung das Schlimmste. Man sollte bei der Neuinszenierung dieser frenetischen Mauertänze auch nicht länger so tun.

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