Im Erlösungston schreit Schmerz

Berliner Ensemble: Lesereihe zur DDR-Dramatik - Heiner Müllers »Die Schlacht/ Traktor«

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Standpunkt kostet. Und so kommt immer mal wieder das alte DDR-»nd« vor, wo ein Standpunkt mit dem hohen Preis bezahlt werden musste, nicht vergessen zu werden. Der Nachhall des Harten. Die Haltbarkeit des Unerbittlichen. Der zähe Zunder der Zurechtweisung. Der Programmzettel zu Heiner Müllers »Die Schlacht/ Traktor« im Berliner Ensemble vermerkt Erinnerungen von Manfred Karge: »Natürlich war nach der Premiere einiges zu hören und zu lesen. Ein Stückeschreiber, also ein Kollege von Heiner, ich habe den Namen vergessen, hat im ›Neuen Deutschland‹ eine unglaubliche Beschimpfung, getarnt als Theaterkritik, vom Stapel gelassen.«

Im Jahre 1975 war das - Manfred Karge und Matthias Langhoff inszenierten Müllers »Die Schlacht - Szenen aus Deutschland« an der Volksbühne, neun Spielzeiten lief die Szenenfolge. Jetzt waren die Texte, kombiniert mit »Traktor«, auf der Probebühne des BE zu hören, in der Lesereihe zu vergessener oder verbotener DDR-Dramatik (Leitung: Manfred Karge, Hermann Wündrich). Fünf Schauspieler, zwei Schauspielerinnen, Kommentator Wündrich; fünf kurze Szenen, dann »Traktor«. Man tritt, die Rollen lesend, an Pulte, und setzt sich wieder. An weißer Rückwand das Porträt des Dichters, die Zigarre, der sanfte Blick zwischen freundlicher Hinwendung und ebenso freundlichem Desinteresse.

Die Szenen aus Deutschland. Nazideutschland. Kriegstolles Deutschland. Verendendes Deutschland. Porträtiert in Soldaten, die zu Kannibalen am eigenen Kameraden werden; im Kleinbürger, der vor Russenangst die Familie erschießt, nur nicht sich selber; in der Fleischersfrau, die den Mann im Fluss ersaufen lässt, um einen toten Nazi vorweisen zu können, wenn die Sühnezeit kommt; in mörderischen Durchhaltetypen, die sekundenschnell von Deserteurshenkern zu Widerständlern mutieren. Immer fragt Müller nach dem Menschen, der Geschichte macht. Aus der Bloßlegung faschistischer Umtriebe wächst das Bild der Urtriebe. Jede Zeit ein Gebrechen der Ewigkeit; jeder Mensch, losgelassen, ein Gebrechen der Materie. Der Fortschritt? Nichts weiter als die Ungerechtigkeit, mit der jede neue Zeit laut brüllend auf die alte tritt. Der Erlösungston erstickt aber nicht den Schmerzensschrei, mit dem eine Neugeburt des ewiglich Alten geschieht.

Eindringlich jene Szene »Die Nacht der langen Messer«: zwei Brüder, der eine Kommunist, der andere auch, elend gefoltert in den Gestapokellern und nun (scheinbar!) zum Verräter geworden, jedenfalls gebrochen - und also wird er vom Bruder erschossen. In wenigen Dialogfetzen, kristallin, peitschend dicht, die Gnadenlosigkeit der Säuberungstragödie. Die Arbeiterbewegung, wie sie sich das eigene Herz ausreißt, das heiß für die Menschheit schlagen wollte und nur immer kalt zurückschlägt gegen das Eigene. Und weiter geht’s mit dieser Kälte, aus dem Krieg in den Frieden - im »Traktor« zeichnet Müller im bäuerlichen Brachfeld, das noch immer ein Minenfeld ist, das bleibende Widerspruchsfeld: Wer räumt weg, was uns zerreißt? Und was soll alles neue Heldentum der Arbeit, wenn der Mensch draufgeht? Und er geht immer drauf, wo er einer »großen Sache« untergepflügt wird. In Siebenmeilenstiefeln jagt das Kommende, Sozialismus genannt, übers Neuland - während der Traktorist nur sein Bein wiederhaben will. Kleinmütiger Kerl - Mann, mach Geschichte und kein Theater! Für neue Zeiten, heißt es bei Müller, reißt man sich doch gern ein Bein aus.

Sarkasmus, schonungslos. Dramatik, die Blumentapeten herunterreißt. Der Zweifel als Arznei gegen das propagandistische Suhlen. Und dann doch ein Pathos, das aufreißt. Erzählt wird von einem russischen Bauern, der von Nazisoldaten gejagt wird - es erstaunt die Deutschen, wie er, durchs Feld gehetzt, doch sorglichst zu vermeiden sucht, den Mais zu zertreten. Wo früher sein eigenes Stück Land gewesen sei? Der zu Erschießende habe sich ratlos umgesehen: Er wusste es nicht mehr. Da war ein Mensch aufgegangen im Großen, und das behält in diesem Bericht am Schluss auch etwas Großes, märchenhaft Rührendes. Als grüße kurz ein schon gelebter Kommunismus, ehe dem Bauern alle Himmel in den Todesschlaf stürzen.

Die Lesung: von unangestrengter Hingabe. Längst ein Traditionsstück, diese Reihe. Es sei Veit Schubert hervorgehoben, der als Traktorist verbitterten Ernst mit dem freidenkerischen Trotz eines Eulenspiegels verbindet. Da ist schöner Hohn gegen das Hohe; listige Lakonik pariert ideologische Lügen: Das fehlende Bein bestimmt das Bewusstsein - dem somit nichts mehr fehlt an Klarsicht auf die Verhältnisse.

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