Meditationen über Melkfett

Das Berliner Pornfilmfestival ist nicht nur etwas für Onanisten: Vom feministischen Fetischporno bis zu alten Sexhörspielen und einem Bondage-Workshop ist alles dabei

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 5 Min.

Um gegenüber der gegenwärtigen, in großem Stil produzierten kommerzialisierten Pornographie skeptisch zu sein oder sie abzulehnen, muss man nicht Alice Schwarzer heißen oder religiöser Fundamentalist, Ideologiekritiker oder Feministin sein. Es reicht zumeist bereits, aufmerksam einen handelsüblichen Pornofilm anzuschauen.

Wer das Wort »Porno« hört, denkt gewöhnlich an die Sorte Filme, in denen ein erschreckend standardisiertes Schaugerammel vor der Kamera praktiziert wird. Die Kameraarbeit erschöpft sich meist im Zoom auf Anus oder Penis. Agiert wird von den Körpern dabei nicht selten zwischen unansehnlichem Möbel-Hübner-Mobiliar und vor sich hinsterbenden Topfpflanzen: Wir blicken auf primäre Geschlechtsmerkmale in Großaufnahme. Dazu erklingt unsägliche Billigheimermusik. Auch muss man all die ungesunden Körperhaltungen mitansehen, die die Darstellerinnen und Darsteller einnehmen müssen. Deren schmerzhafte Verrenkungen sind notwendig, um den Kameras den bestmöglichen Einblick in die intimen Körperregionen zu gestatten. Man denke hierbei etwa auch an jene männlichen Darsteller, die dazu angehalten sind, bei Dreharbeiten ihren der Kamera zugewandten Arm während des Kopulationsvorgangs hinter ihrem Rücken zu verstecken bzw. sich die zugehörige Hand auf den eigenen Hintern zu legen, so dass der ungehinderte Kamerablick auf den bzw. die per Doggystyle penetrierten Körper jederzeit gewährleistet ist. Porno ist Arbeit. Und am Ende sieht das Ergebnis mehr nach einer Mischung aus bizarrem Leistungssport und medizinischem Lehrfilm aus als nach elegantem kinematographischem Kunsthandwerk. Man kennt das.

Doch gibt es Alternativen zum Bestehenden: Das nun schon seit 2006 mit wachsendem Erfolg in Berlin stattfindende »Pornfilmfestival« hat sich zum Ziel gesetzt, all jene sich nicht am Mainstream orientierenden oder unabhängigen Sexfilmproduktionen für einige Tage ins Kino zu bringen, die einen neuartigen, frischen Zugriff auf das Genre zeigen oder unbeachtet an dessen Rändern ihr Dasein fristen. Dabei geht es dem kleinen Häuflein Veranstalter und Kuratorinnen, auch »angesichts einer rechtskonservativen Partei, die mit homophoben Parolen Landtage stürmt«, darum, den Porno gegen das Verbots- und Zensur-Geschrei eines sich in Europa »zunehmend organisierenden Neokonservatismus« zu verteidigen, wie Jochen Werner mitteilt, einer der Kuratoren. Doch darüber hinaus gilt es auch, die im Genre angelegte Vielfalt wiederzuentdecken und es den Fängen eines ausschließlich profitorientierten Porno-Marktes zu entwinden. Was nicht heißt, dass auf dem Festival nur filmische Gegenentwürfe zu den genormten Hochglanzfilmen aus dem San Fernando Valley und hochgradig verwackelte Home-Movies von sich selbst porträtierenden depressiven Onanisten zu sehen sind. Diversifikation lautet das Stichwort. Oder sagen wir es so: Hier sind Liebhaberinnen und Liebhaber am Werk, was die Festivalprogrammauswahl angeht. Der feministische Porno, Filme für ein schwules, lesbisches und/oder Transgender-Publikum, Fetisch- und BDSM-Produktionen, No-Budget-Filme und andere Skurrilitäten finden hier seit Jahren genauso ihren Platz wie bizarre Underground-Schwarzweißfilme (»Mondo Weirdo - Jungfrau am Abgrund«) oder ungewöhnliche, mit viel Engagement gedrehte Dokumentationen zu Themen wie Zoophilie, Asexualität, Audiopornografie oder »Schönheitsoperationen« an der Vagina (»Vulva 3.0«). Filme, die im Fernsehen schon allein deshalb nicht gezeigt werden können, weil in der einen oder anderen Produktion ein Penis zu sehen ist oder jemand ein verbotenes Wort benutzt.

Der Dokumentarfilm »Body of God« beispielsweise thematisiert die Geschichte der Body Modification von den Anfängen bis zu deren inflationärer Verbreitung (Bauchnabelpiercing, »Arschgeweih«) in der Populärkultur der 90er Jahre: Es geht um Menschen, die gern Grenzerfahrungen machen, indem sie ihren Körper manipulieren, sich piercen, tätowieren, die Hoden durchstechen, ihren Leib verschnüren oder sich gern an der Decke aufhängen lassen, während schwere Gewichte an ihren Brustwarzen baumeln. Ein älterer Mann berichtet von früher, davon, dass solcherlei Vorlieben bis weit in die 70er Jahre hinein nur heimlich praktiziert werden konnten. Als junger Mann, in den 40er Jahren, so teilt er mit, habe er seine Neigungen noch in einem geheimen Kellerraum ausleben müssen, von dem niemand wusste. Er wäre sonst seinerzeit als krank eingestuft und in eine Anstalt verbracht worden.

Ein anderes Beispiel ist der Dokumentarfilm »Max und die anderen«, der uns mit Herrn Finger bekannt macht, der sich selbst »Max« nennt. Max, der früher Bundeswehrsoldat war, trägt eine Art Anglerweste und eine Glatze. Er ist ein Freund des Leders und hat in seiner beneidenswert aufgeräumten und sauberen Wohnung ein liebevoll ausgestattetes Sado-Maso-Spielzimmer für sich und seine Freunde eingerichtet. Wir beobachten den äußerst sympathisch wirkenden älteren Herrn dabei, wie er in seiner Küche mit einer größere Anzahl Plastikdosen und einem Mixer hantiert. Denn Max bereitet sein Gleitmittel, seine »Fistmischung«, selbst zu. Konzentriert und aufmerksam, nicht anders, als andere ihre Blumen gießen oder ihre Briefmarken einkleben. »Wenn ich das ohne Melkfett mache, trocknen mir die Ärsche zu schnell aus«, sagt Max, während er sorgsam seine Mischung bereitet. Der Film ist auch die Geschichte einer Liebe und ihrer Schwierigkeiten: Wir sehen Max und seinen ukrainischen Freund Dima, beide sind HIV-positiv, auf dem Kreuzberger Standesamt, wo sie getraut werden. Das Paar will gemeinsam in Max’ Wohnung leben, doch die staatliche Bürokratie macht deswegen Theater.

Das Kuratorenteam, das gern Filme wie diesen auswählt, weil es die Vielfalt der Spielarten der menschlichen Sexualität aus der Tabuzone holen und ihnen den Ruch des »Perversen« nehmen will, pflegt auch einen liebevollen Umgang mit der Geschichte des Pornographie-Genres: Wie immer gibt es eine Retrospektive - dieses Jahr eine mit Filmen des französischen Pioniers des Schwulenpornos, Jean Daniel Cadinot - und diverse begleitende Workshops wie »Japanisches Bondage - Kommunikation mit dem Seil«. In Hamburg gibt es ein Festival wie dieses bislang nicht. Deshalb nennen die Betreiber der linken Hamburger Bohème-Bar Golem das mehrtägige Berliner Pornfilmfestival eine »erstaunliche Veranstaltung«. Gerade weil zu dessen Programm nicht ausschließlich klassische Fickfilme gehören, sondern auch solche, die »zum Diskurs über Genderfragen anregen« und »Fragen zu Diversität, Sexarbeit sowie zu feministischer und alternativer Pornographie aufwerfen oder beantworten« sollen, wie es das Golem auf seiner Webseite formuliert. Wollen wir mal hoffen, dass Bernd Lucke (AfD), der Taliban-Flügel der katholischen Kirche und die Jungs vom »Islamischen Staat« keinen Wind von dem Filmfestival bekommen.

Pornfilmfestival Berlin, 22. bis 26. Oktober, Kino Moviemento, Kottbusser Damm 22; www.pornfilmfestivalberlin.de

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