nd-aktuell.de / 21.10.2014 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 2

Wie im Flug zum nächsten Streik

Piloten lösen Lokführer im Ausstand ab

Hans-Gerd Öfinger
Dass auch kleine Berufsgruppen mit gezielten Streiks eine große Wirkung erzielen können, stellen nach den Lokführern der Deutschen Bahn nun erneut die Piloten der Deutschen Lufthansa unter Beweis.

Die Vereinbarung zwischen der Lokführergewerkschaft GDL und dem Pilotenverband Vereinigung Cockpit (VC), nicht gleichzeitig zu streiken, zeigte Wirkung. Kaum war die Deutsche Bahn nach dem von der GDL geprägten 50 Stunden langen Streikwochenende zu einem halbwegs normalen Alltagsbetrieb zurückkehrt, hielten ab Montagmittag die in der VC organisierten Lufthansa-Piloten viele hundert Maschinen am Boden, die für den Kurz- und Mittelstreckenverkehr von und nach deutschen Flughäfen vorgesehen waren. »Annuliert« lautete das vorherrschende Wort auf den Anzeigetafeln in den Terminals am Frankfurter Großflughafen. Es war ruhiger als sonst.

Für den Frankfurter Rhein-Main-Flughafen mit seiner internationalen Drehkreuzfunktion gehören Streiks und die damit verbundenen Flugausfälle und organisatorischen Herausforderungen mittlerweile allerdings zum »Business as usual«. Hier hatten in den vergangenen Monaten neben den Lufthansa-Piloten schon die Beschäftigten der privatisierten Sicherheits- und Bodendienste in separaten Arbeitskämpfen gespürt, dass sie ein Machtmittel in der Hand haben.

Gestrandete Lufthansa-Passagiere, die mit Knabbergebäck und Softdrinks bei Laune gehalten wurden, konnten am Montag bequem auf Fernzüge der Deutschen Bahn umsteigen und nach Hamburg, München, Amsterdam, Brüssel, Paris oder Zürich reisen. Die DB sei »auf den Streik bei der Lufthansa eingestellt«, versicherte ein Bahnsprecher auf nd-Anfrage. »Alle verfügbaren Züge stehen bereit, um zehntausende zusätzliche Reisende auf innerdeutschen und grenzüberschreitenden Strecken aufzunehmen.« Lufthansa-Fluggäste im Inlandsverkehr könnten ihr elektronisches Ticket problemlos in einen Reisegutschein für die DB umwandeln lassen. So beschert der Cockpit-Streik der Bahn nach den massiven Umsatzverlusten vom Wochenende kurzfristig wieder Mehreinnahmen.

Turbulenter könnte der insgesamt 36-stündige Cockpit-Ausstand allerdings am Dienstag werden, wenn einen Tag lang auch die Langstreckenflüge in den Arbeitskampf einbezogen sind. Dann dürften - wie schon vor wenigen Wochen - nahezu alle Lufthansa-Direktverbindungen von und nach Nordamerika und Fernost ausfallen.

Beim achten Streik der Piloten seit April geht es nach wie vor um die von der größten deutschen Airline aufgekündigten Regelungen zur Finanzierung des Übergangs älterer, gesundheitlich angeschlagener Piloten in den vorzeitigen Ruhestand. Die VC wehrt sich gegen die von der Konzernspitze anvisierte Abschaffung der Übergangsversorgung und fordert einen neuen Tarifvertrag für das Cockpitpersonal. »Bedauerlicherweise hat die Lufthansa unsere Kompromissvorschläge nicht aufgegriffen und mauert«, bemängelt VC-Sprecher Jörg Handwerg. Nun müssten die Manager endlich ihre Blockadehaltung aufgeben und mit einem verhandlungsfähigen Angebot »ihren Beitrag zur Beilegung des Tarifkonflikts leisten«.

Anders als in früheren Streikrunden gibt sich Cockpit moderat und verzichtet jetzt nach Angaben ihres Vorstandsmitglieds Markus Wahl auf Streikversammlungen und einen publikumswirksamen Aufmarsch ihrer streikenden Mitglieder vor der Frankfurter Lufthansa-Zentrale. »Die Kommunikation erfolgt über elek- tronische Medien«, sagt Wahl. So blieben vorgefertigte VC-Pappschilder mit Texten wie »Eure Profitgier frisst unsere Rente«, »Aufgekauft, ausgesaugt und abgestoßen«, »Bilanz gecheckt, Rendite entdeckt« oder »Piloten übernehmen Verantwortung. Heuschrecken die Gewinne« eingemottet.

Die Parolen, die frühere Streikaktionen im Frühjahr optisch geprägt hatten, zielen darauf ab, dass die Lufthansa-Zentrale offenbar unter dem Druck von Großaktionären wie der US-Investmentfirma Blackrock die Rückstellungen für Übergangsversorgung und Betriebsrenten auflösen und in Dividenden und Managerboni umwandeln und ausschütten möchte. So macht sich Angst vor einer Ausplünderung des Unternehmens breit. Derzeit bestünden »15 offene Tarifbaustellen«; die Chefetage sei nicht mehr zu fairen Kompromissen und einem Miteinander bereit, beklagt Wahl.

Hoffnungen der Konzernzentrale, dass der Gesetztgeber mit einer Neuregelung der »Tarifeinheit« den Pilotenverband »zur Handlungsunfähigkeit verdammen« könnte, seien »ein untauglicher Versuch, sich aus der Verantwortung der Sozialpartnerschaft zu stehlen«, gibt sich Cockpit--Sprecher Handwerg selbstbewusst.

Sorgen in Regierungskreisen, dass kleine Berufsgewerkschaften ein »Streikchaos« auslösen könnten, widerspricht im Schulterschluss mit der VC auch Ex-Bundesinnnenminister Gerhart Baum (FDP): »Deutschland ist immer noch eines der Länder mit den geringsten arbeitskampfbedingten Ausfallzeiten. Gerade die Berufsgewerkschaften haben besonders wenige Streiktage pro Kopf zu verzeichnen«, so der Liberale in einem Gastbeitrag auf der VC-Website.