Blütenmeer hinterm Naschzaun

Warum ein Hellersdorfer Rentner ehrenamtlich einen fast 3000 Quadratmeter großen Garten hegt und pflegt

  • Steffi Bey
  • Lesedauer: 3 Min.
Lange eine unansehnliche Brache, jetzt ein herrliches Blütenmeer und sozialer Treffpunkt: Hans-Joachim Fichtl gestaltet und bearbeitet ehrenamtlich fast 3000 Quadratmeter an der Hellersdorfer Straße.

Wer in Sachen »Urban Gardening« (neudeutsch in etwa für »stadtgärtnern«) nur an die Kleinstgärten auf dem Tempelhofer Feld denkt oder angesichts der Debatten um (verlorene) Freiflächen nur an die Cuvry Brache oder den Spreepark, dem sei dann und wann ein Blick jenseits des S-Bahnringes empfohlen. Im Bezirk, der vermeintlich nur mit Wohnhochhäusern aufwarten kann, setzt ein 72-Jähriger um, was in zahllosen Blogs und Kiezreportagen viel gelobt und gern als grüne Rückbesinnung der jüngeren Berliner gesehen wird.

Wochentags ist es immer das gleiche Ritual: Hans-Joachim Fichtl frühstückt gemütlich mit seiner Frau und dann zieht es den rüstigen Senior hinaus. Der 72-Jährige läuft nur ein paar Schritte: vorbei an einem lang gestreckten Beet, dass auch in diesen Tagen noch wunderbar bunt blüht. Kurze Zeit später hat er seinen ehrenamtlichen Arbeitsplatz erreicht. Es ist ein etwa 3000 Quadratmeter großes Areal, das vor den Rhin-Towers an der Hellersdorfer Straße liegt.

Auch dort gibt es viel zu entdecken - 240 Pflanzenarten in mehr als 100 Farbnuancen. Stockrosen, die eine Hecke bilden, Astern, die als Kantenabschluss ein besonderer Blickfang sind oder Dahlien, die ihre großen Blütenköpfe scheinbar genussvoll in die Sonne recken. Nicht zu vergessen die Chrysanthemen. In kleinen Gruppen, mit dicht gedrängten Stielen, entfalten sie ihre ganze Pracht. Hans-Joachim Fichtl zeigt auf die Bordeauxfarbenen. »Das war mal ein Geburtstagsstrauß meiner Frau und inzwischen sind daraus ganze Völker geworden«, freut sich der Hellersdorfer, der über die vielen Pflanzen ebenso viele Geschichten weiß.

Er brachte in den vergangenen vier Jahren Leben auf die einstige Brache. Wie es dazu kam, ist schnell erzählt. Begonnen hat alles mit ein paar Sonnenblumen. Die säte er bereits 2002 in die Baumscheibe direkt vor sein Wohnhaus. Dann kümmerte er sich um ein bis dahin eher langweiliges Beet unmittelbar an der Hellersdorfer Straße: brachte es zum Blühen und sorgte bei Anwohnern und Spaziergängern für Erstaunen. Begeistert war auch Ramasan Bulut, Besitzer der Rhin-Towers, der die beiden über viele Jahre leer stehenden heruntergekommenen Gebäude sanierte. »Er fragte mich, ob ich so etwas ähnliches auch auf seinem Grundstück machen kann«, erinnert sich Fichtl.

Der Rentner war sofort einverstanden und machte sich an die Arbeit. Ohne Zeichnung oder Computerskizze - mit Spaten, Hacke und Harke legt er los und gab dem Grundstück eine Struktur. Das meiste, was dort wächst, ist per Hand gezogen, vermehrt oder aus Trieben zum Anwachsen gebracht. Oft schenken ihm aber auch Spaziergänger, Nachbarn oder Freunde Pflanzen. Manche Gaben sehen wirklich erbärmlich aus, doch Hans-Joachim Fichtl bringt auch solche Gewächse zum Blühen.

»Ich bin auf einem Bauernhof in der Uckermark große geworden, habe damals sehr viel gelernt und meine Liebe zum Gärtnern entdeckt«, erzählt der studierte Chemiker.

Das Arbeiten in der Natur ist für ihn aber mehr als nur körperliche Betätigung. Er knüpft soziale Kontakte und animiert beispielsweise Familien, die in den Hochhäusern wohnen und aus unterschiedlichen Regionen Europas kommen, mitzumachen. »Vor allem Kinder helfen beim Pflanzen und sind schnell zu begeistern«, sagt der Rentner. Auch Mitarbeiter des nahe gelegenen Jugendklubs baten ihn schon um Hilfe. Sie wollen sich zeigen lassen, wie ein Hochbeet angelegt wird.

Die Bulut-Brüder sind jedenfalls von dem Blütenmeer des Hobbygärtners begeistert: »Es sieht jetzt hier schön sauber aus«, betont Mustafa Bulut, einer der beiden Geschäftsführer.

Für Fichtl ist es wichtig, trotz Zaun, der das Gelände umgibt, eine Nähe zur Umgebung zu schaffen. Er setzt deshalb viele Pflanzen dicht an die Umrandung, damit die Vorbeigehenden sie berühren können. »Oder auch mal von den Beeren naschen«, sagt der Hellersdorfer.

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