Die Mafia als Unterrichtsfach

Priesterseminare im italienischen Kalabrien sollen über die Geschichte der Verbrecherorganisation aufklären

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 3 Min.
Im nächsten Semester findet ein neues Fach Eingang in die Priesterseminare Kalabriens: Die ’Ndragheta, die kalabresische Mafia. Die angehenden Priester sollen lernen, mit dem Phänomen umzugehen.

Die ’Ndrangheta ist eine der stärksten und gefährlichsten kriminellen Organisationen weltweit. Sie »arbeitet« in Mailand und Frankfurt am Main und hat hervorragende Verbindungen nach Südamerika und nach Russland, wo sie faktisch den Drogenmarkt kontrolliert. Doch ihre »Heimat«, ihren Stammsitz hat sie weiterhin in der süditalienischen Region Kalabrien, der italienischen Stiefelspitze. Aber trotz ihrer Macht und Grausamkeit, die eigentlich überall bekannt sein müsste, wird ihre Gefährlichkeit immer noch unterschätzt. Auch von der katholischen Kirche.

In den vergangenen Monaten sind die Wörter »Kirche« und »’Ndrangheta« immer häufiger in Verbindung gebracht worden. Bei einer Prozession in Oppido Mamertina für die Schutzherrin des Ortes »verneigte« sich die Madonna vor dem Haus des örtlichen Mafiabosses, des 82-jährigen Beppe Mazzagatti, der wegen zahlreicher Verbrechen vorbestraft ist und nur aus Alters- und Gesundheitsgründen nicht im Gefängnis saß. Die Geschichte kam nur deshalb in die Presse, weil einige Polizisten, die an der Prozession teilnahmen, diese aus Protest verließen und das Geschehene an die Öffentlichkeit brachten. Der Priester, der den Umzug leitete, will von der »Verneigung« nichts gemerkt haben …

Ähnliches ereignete sich auch in anderen Ortschaften Kalabriens, und mehrmals stellte sich heraus, dass religiöse Feste mit den beleuchteten Kirchen und dem Feuerwerk, das hier absolut dazugehört, von stadtbekannten Kriminellen finanziert wurde. Denn die Mitglieder der ’Ndrangheta (aber das gilt auch für die Bosse der sizilianischen Cosa Nostra) sind »tief religiös« oder wollen dies zumindest der Öffentlichkeit weismachen. Sie haben oft Privatkapellen und persönliche Beichtväter, die gerne auch in den Gefängnissen ein und ausgehen und manchmal auch - egal ob wissentlich oder nicht - als Nachrichtenüberbringer fungieren. Sogar der Eid, mit dem neue Mitglieder auf die kriminelle Organisation eingeschworen werden, wird auf die Bibel und ein Bild der Madonna geleistet. Wie gesagt: All das weiß man und die letzten Päpste haben das auch angeprangert und die ’Ndranghetisti (so werden die Angehörigen dieser Organisation genannt) mit harten Worten aus der Kirchengemeinde verbannt.

Trotzdem, und das haben jetzt die Bischöfe der Region erkannt, haben vor allem die Priester in den kleinen Pfarrgemeinden der abgelegenen Orte offensichtlich nicht das kulturelle Rüstzeug, das man braucht, wenn man in Kalabrien tätig ist. Und das wollen die Bischöfe jetzt ändern. Im nächsten Semester wird es am Seminar von Lamezia einen neuen Kurs für alle Schüler der theologischen Institute Kalabriens geben: Es geht um die Beziehung zwischen ’Ndrangheta und Kirche. Die angehenden Priester sollen lernen, auf alle Zeichen zu achten, die auf die Anwesenheit von Clans hinweisen. Aber sie sollen auch mehr über die Geschichte dieser Verbrecherorganisation erfahren und lernen, diese mit der Entwicklung der Region in Verbindung zu setzen. Im besten Fall sollen die neuen Geistlichen nicht nur die Symptome erkennen, sondern gleichzeitig auch den Widerstand gegen dieses Krebsgeschwür der Gesellschaft unterstützen. Sie sollen zum Beispiel mit den vielen Jugendlichen und mit den mutigen Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen zusammenarbeiten, die sich überall in Kalabrien gegen die ’Ndrangheta wehren und versuchen, die Bevölkerung zu sensibilisieren, was sie nicht selten in Lebensgefahr bringt.

Erzbischof Salvatore Nunnari drückt das so aus: »In der Kirche von Papst Franziskus gibt es zwar Raum für Verzeihung und Vergeben aber keine Grauzonen.« Das neue Unterrichtsfach wird jetzt erst einmal für ein Semester eingeführt. Wenn es positiv aufgenommen wird, soll »’Ndrangheta und Kirche« zukünftig unterrichtet werden.

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