Stille Post mit Konjunktiv und Gänsefüßchen

Sikorski, Putin und die lang geplante ukrainische Teilung - vom Satteln einer Zeitungsente

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist kein Geheimnis und angesichts des 20. Jahrhunderts auch verständlich, dass zwischen Oder und Bug eine gewisse Grundaufregung herrscht, sobald es um die beiden großen Nachbarn geht. In Deutschland weiß man das einzuschätzen - wenn etwa Erika Steinbach angesprochen ist, die quasi Gewehr bei Fuß an der Westgrenze lauert. Und noch vor wenigen Jahren sattelte kein deutscher Journalist die Riesenente, die jenes Flugzeugunglück, bei dem zahlreiche polnische Zeitgeschichtsikonen ums Leben kamen, als russische Kommandoaktion outete - und für die am Ende ein bekannter Journalist der »Rzeczpospolita« flog.

Dass die Zeiten sich offenbar gehörig geändert haben, seit der Regime Change in Kiew aus dem Ruder gelaufen ist, offenbarte sich in den vergangenen Tagen in deutschsprachigen Press- und Pixelorganen. Die sprangen ihre Leser mit einer Sensationsmeldung an, nach der die tatsächlich wohl eher improvisierte russische Krimaktion als Teil eines lange gehegten neoimperialistischen Aggressionsprojekts dargestellt wurde. Und wie beim Kinderspiel von der »stillen Post« schaukelte sich die Story binnen Stunden zu einem Tsunami an »Berichten« auf, in dessen Verlauf sich die journalistischen Vorsichtsformulierungen und Hintertürchen bei unklarer Lage - Formulierungen mit Konjunktiven, mit dem Wörtchen »soll«, mit Fragezeichen und Gänsefüßchen - in der Dauerkonkurrenz um Klicks, »Likes« und »Shares« verflüchtigten, bis die Stammtischnummer schließlich als Faktum erschien.

Den Vogel schoss, erwartbar genug, der »Focus« ab: »Polen packt aus: Putin wollte schon 2008 die Ukraine teilen«. Aber auch andere »Qualitätsmedien« haben sich nicht mit Ruhm bekleckert. Wo der »Tagesspiegel« immerhin noch die Fragezeichenvariante brachte - »Wollte Putin die Ukraine aufteilen?« und »Zeit Online« das Genre Behauptungsbericht wählte (»Putin soll Teilung der Ukraine vorgeschlagen haben«), brachten andere die Story im Grunde als Tatsache. Wer etwa bei Google nach dem »Stern« suchte, fand noch am Mittwoch den Schnipsel »Putin schlug polnischem Regierungschef 2008 Aufteilung ...«. Nur wer wirklich klickte, gelangte zu einer Vorsichtskonstruktion: »Putin soll Polen die Aufteilung der Ukraine vorgeschlagen haben«. Und »faz-net« ließ nur zwei Gänsefüßchen auf den Indikativ aufpassen: »›Putin schlug Aufteilung der Ukraine vor‹«.

Die wilde Geschichte, die den deutschen Meinungsmachern so gut ins Konzept passte, dass sie umgefiltert in die Welt geblasen werden musste, stammt aus einem Artikel von Ben Judah auf der US-Plattform »Politico«. In diesem Text, der einen polemischen, mit Putinpsychologie angereicherten Rundumschlag gegen dessen als »Diktatur« bezeichnete Regierung führt, kommt auch Polens Ex-Außenminister Radoslaw Sikorski zu Wort: Mit der Behauptung, Putin habe die Aufteilung der Ukraine in seinem Beisein dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk auf dem NATO-Gipfel in Bukarest 2008 vorgeschlagen. Die schon von Judah getroffene, relativierende Einschätzung Sikorskis als »Falke« hat offenbar weder die Verfasser noch die Verbreiter dieser News erreicht.

Selbst in Warschau, wo man sich so gern von Moskau bedroht fühlt, haben Sikorskis Einlassungen schon am Dienstag für erheblichen Ärger gesorgt. Journalisten wollten genauere Auskünfte, die Sikorski nicht geben konnte; Regierungschefin Ewa Kopacz persönlich knöpfte sich den Ex-Minister vor. Der war dann gezwungen, seine Behauptungen in verschiedenen Formen zu revidieren. Unter dem Strich bleibt wohl in etwa stehen, dass Sikorski irgendwann später von irgendjemandem irgendetwas gehört haben will, das irgendwie in diese Richtung ging - nicht, wie er gegenüber »Politico« nahelegte, als Avance, sondern als Herrenwitz.

Das mag für deutsche Kämpfermedien plausibel klingen; ein jeder glaubt ja zu wissen, wie Putin schon frühmorgens seine Aggressionsgrimasse trainiert. Doch wahrscheinlich ist auch diese Variante nicht. Wer nämlich, was leicht ist, einen Blick auf Putins Zeitplan für jenen Gipfel wirft, stellt fest, dass es dort gar kein Treffen mit Tusk gab.

Dass ihre Wahrscheinlichkeit zu überprüfen wäre, bevor in angespannten Zeiten solche News in die Welt geblasen werden, ist die Lehre, die aus der peinlichen Posse zu ziehen wäre. Zu erwarten ist ein Besinnen aber kaum. Zwar begannen die meisten Verbreiter der Räuberpistole am Dienstag und Mittwoch, ihre Story durch eine kleinlaute Folgemeldung zu relativieren. Doch kann man getrost davon ausgehen, dass die Ente dennoch sedimentiert.

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