nd-aktuell.de / 23.10.2014 / Kommentare / Seite 4

Ostdeutsches Ungeheuer

Tom Strohschneider über die Empörung, die Rot-Rot-Grün entgegenschlägt

Tom Strohschneider

Es ist gut, nein: es ist sehr wichtig, dass jede rot-rot-grüne Überlegung vielfältiger Kritik unterzogen wird. Repräsentiert ein solches Bündnis wirklich gesellschaftliche Stimmungen? Steckt mehr darin als ein bloßer Mehrheitskompromiss? Ist der Raum des linksreformerisch Möglichen ausgeschöpft? Und dass die Vorgeschichte der Berliner Bundesrepublik zum Thema wird, ist ebenso richtig.

Freilich: Ein Teil der Empörung, die jetzt nicht nur der Thüringer SPD entgegenschlägt, hat offenbar andere Gründe. Mal mag es konservativer Furor sein, der auch vor dem sexistischen Sprachbild von den »gespreizten Beinen« der SPD nicht zurückschreckt. Mal klingt alter Antikommunismus an, der auch anno 2014 noch zu den Grundtorheiten zu gehören scheint.

Man wird zudem das Gefühl nicht los, dass sich unter dem Deckmantel der Kritik an Rot-Rot-Grün auch ein anti-ostdeutsches Ressentiment Bahn bricht. Da müssen dann Wofasept-Erinnerungen und die »Seele der alten Bundesländer« gegen die Möglichkeit eines linken Ministerpräsidenten herhalten, weil dessen Partei - eine »ostdeutsche« - irgendwem immer noch »nicht geheuer« ist. Volle politische Zurechnungsfähigkeit wird den Ostdeutschen offenbar auch 25 Jahre nach der Wende nicht zugebilligt. Mit Kritik an Rot-Rot-Grün hat das nichts zu tun.