Nur »Unrecht« im Osten im Blick

Arno Klönne über politisiertes Recht im Kalten Krieg

  • Arno Klönne
  • Lesedauer: 4 Min.

Von staatlichen Organen verübtes oder gedecktes Unrecht, durch politische Machtinteressen motiviert - dies war in den Jahrzehnten nach 1945 auf deutschem Territorium eine Spezialität der DDR. So jedenfalls ein gegenwärtig vorherrschendes Narrativ. Nun kann kein Zweifel daran bestehen, dass im östlichen Teildeutschland damals die Staats-»Organe« brutal vorgingen, um tatsächliche oder vermeintliche politische Gegner zu verfolgen und zu bestrafen. Es fehlt nicht an zeitgeschichtlichen Dokumentationen dazu. Fast durchweg sind diese bestimmt durch die Methode: Ostwärts geht der Blick. Was für das Publikum den Eindruck nahe legt, über den Westen Deutschlands in Zeiten der Teilstaatlichkeit gäbe es da nichts weiter zu berichten, in der Altbundesrepublik sei es strikt rechtsstaatlich-demokratisch zugegangen, politische Opposition habe hier selbstverständlich alle Freiheiten besessen ...

Ein schönes Bild von der Altbundesrepublik, erinnerungspolitisch recht brauchbar, aber einige historische Realitäten, falls sie zur Kenntnis genommen werden, wirken irritierend. Während des Kalten Krieges wurden in Westdeutschland massenhaft Menschen verfolgt, die Kommunisten waren oder justiziell dazu erklärt wurden, dies ganz häufig zu Unrecht und anhand rechtsstaatlich nicht haltbarer »Beweise«. Kommunistischer Neigungen verdächtigte Vereine wurden schon von Staats wegen unterdrückt, als die KPD selbst noch legal tätig war. Nach dem KPD-Verbot 1956 wurden kommunistische Aktivitäten auch rückwirkend mit Strafen belegt. Wegen »Staatsgefährdung« gerieten unter Anklage auch solche Westdeutsche, die nichts anderes im Sinne hatten als eine Verständigung mit »dem Osten«, einen friedlichen Umgang im Konflikt der politischen Systeme. Und peinlicherweise sahen sich in der Altbundesrepublik immer wieder ehemalige Gegner und Verfolgte des NS-Regimes, nun der »Staatsfeindlichkeit« bezichtigt, mit Anklägern und Richtern konfrontiert, die vor 1945 als getreue Diener des hitlerdeutschen »Rechtswesens« gewirkt hatten. Erst mit einer Gesetzesänderung von 1968 wurden diese verfolgerischen Praktiken abgebrochen. Aber politische Repression war noch nicht zu Ende: In der Zeit der »Außerparlamentarischen Opposition« hatten Berufsverbote bei tatsächlichem oder angeblichem linken Engagement ihre Konjunktur.

Über kaltkriegerische Justiz in Westdeutschland liegen solide Berichte vor, so etwa von den Strafverteidigern Diether Posser und Heinrich Hannover und von dem Rechtswissenschaftler Alexander von Brünneck. Bemerkenswert ist, wie gern jedoch der gängige Geschichtsdiskurs solche Materialien unbeachtet lässt. Von Brünneck übrigens verweist darauf, dass die Kommunistische Partei in Westdeutschland Anfang der 1950er Jahre ihren Verfolgern das Geschäft erleichterte durch pseudorevolutionäre Aufrufe zum »Sturz des Adenauer-Regimes«, zwecks »nationaler Befreiung«. Zu den politischen Kräfteverhältnissen in der Bundesrepublik hatten diese Parolen keinen realen Bezug - was den justiziellen Jägern von Kommunistenwild durchaus klar war; ihnen ging es darum, linke Opposition und Kritiker der Wiederaufrüstung insgesamt zur Strecke zu bringen. Zeitweise verband sich dies mit westlichen Ambitionen einer militanten »Befreiungspolitik« gen Osten. Damals hielten das Politiker der US-amerikanischen Vormacht für eine brauchbare Option; der Kalte Krieg barg auch in Europa durchaus die historische Möglichkeit, in einen heißen überzugehen.

In diesem Zusammenhang ist ferner an die keineswegs rechtsstaatliche, mehr oder weniger verdeckte Verquickung westdeutscher Regierungspolitik in den 1950er Jahren mit den Aktivitäten von »Frontorganisationen« zu erinnern, die zumeist von US-amerikanischen Geheimdiensten angeregt und gesponsert waren. Dass dabei sogar handfeste Sabotageakte im Terrain der DDR geplant und versucht wurden, war keine propagandistische Erfindung der DDR-Dienststellen. Bedenkenlos nahmen westliche Akteure die Opfer ihrer Ostoperationen in Kauf; so mancher idealistisch-kritische DDR-Bürger fand sich in einer Verbindung wieder, die er gar nicht angestrebt hatte. Bundesrepublikanisches politisches Unrecht lag hier in der obskuren Förderung oder Duldung von Aktivitäten, die ihrerseits rechtsbrecherisch waren. Westdeutsche Staatsorgane machten sich willig der Anstiftung oder Beihilfe schuldig, wenn dies dem imaginierten »Kampf gegen den Feind im Osten« diente.

All diese Verhaltensweisen westdeutscher kalter (und mitunter auch recht erhitzter) Krieger hatten ihren Nutzen für ostdeutsche Hardliner. Sie waren geeignet, eigene »Fronthandlungen« und Rechtsverletzungen als unbedingt notwendig hinzustellen. Die wiederum boten propagandistischen Stoff im Westen.

Eine diesbezügliche Gleichsetzung der beiden teildeutschen Systeme soll damit nicht suggeriert werden. Die Bundesrepublik hatte, verglichen mit der DDR, den Vorzug, dass offene und öffentliche Kritik an machtpolitisch motiviertem Unrecht trotz aller unterdrückerischen staatlichen Bemühungen zu Wort kommen konnte. Aber klarzustellen ist: Auch die Unrechtsgeschichte der beiden deutschen Staaten verlief voneinander abhängend, in Aktionen und Reaktionen zwischen West und Ost und Ost und West. Eine erinnerungspolitische Sicht nur auf die DDR - der historischen Wahrheitsfindung dient sie nicht. Sie ist so etwas wie eine Fortsetzung des Kalten Krieges, obwohl der Gegner im deutschen Osten sich aus der Geschichte verflüchtigt hat. Ein solcher Anachronismus hat seine aktuellen Gründe; ehrenwert kommen sie mir nicht vor.

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