nd-aktuell.de / 25.10.2014 / Kultur / Seite 10

Die Utopie blieb auf dem Acker

Zur Uraufführung des DEFA-Spielfilms »Sommerwege«

Günter Agde

Die DEFA-Stiftung und das Zeughauskino begehen am kommenden Montag den diesjährigen europaweiten Tag des audiovisuellen Erbes mit der Uraufführung des bislang völlig unbekannten DEFA-Spielfilms »Sommerwege« (1960, Buch Bernhard Seeger, Regie Hans Lucke, beide für damalige DEFA-Verhältnisse mit Anfang Dreißig junge Leute), in einer mühevoll und aufwändig restaurierten Fassung.

Der Film erzählt eine lapidare Geschichte: Ende der 1950er Jahre wird der junge Industriearbeiter Wollni (Bruno Carstens) in ein kleines mecklenburgisches Kaff geschickt, um die Entwicklung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) voranzutreiben. Dort trifft er auf den wohlhabenden, fleißigen Bauern Grimmberger (Johannes Arpe), einen alten Freund, der ihm im letzten Krieg das Leben rettete. Sie geraten aneinander, weil jeder nun eine andere Position vertritt als ihre Freundschaft tragen kann. Sie streiten und zanken, beschimpfen sich nach Kräften, und am Ende siegt - natürlich - Wollni.

Ein schmales Kapitel aus dem widerspruchsreichen Komplex der Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft - mit nur wenigen Personen, mit bissel Kirchenkampf, bissel Sektierertum und bissel Liebe untermischt. Die Guten und die Bösen sind schnell auszumachen. Folglich scheint ein Konflikt, der wirklich die Spannung treibt, nur in Ansätzen auf. Die schlichte - um nicht zu sagen: einfältige - Erzählweise weist dramaturgische Ungereimtheiten auf, die Dialoge sind lediglich auf die lineare Mitteilung hin geschrieben, ohne Untertexte, mit nur karger psychologischer Unterfütterung.

Die große Utopie, die - lang, lang ist’s her - die Veränderung der Produktionsverhältnisse auf dem Land als zivilgesellschaftlichen Fortschritt in der DDR verhieß, wird nirgendwo wirklich sichtbar, sie bleibt kümmerlich, ein Stoppelfeld. Sie wird nur als These behauptet. Und die Figurenkonstellation - das einfach gestrickte Verhältnis von Antipoden - vermag keinerlei Impulse zu geben, weil nur Rede-Duelle stattfinden. Die Lebensrettung Wollnis und sein und Grimmbergers Kampf gegen den Faschismus bilden kein so starkes humanes Reservoire, dass die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft auf dem Lande trägt.

Die menschheitsgeschichtliche Vision (zumal in diesem vereinfachenden Filmvorschlag) verdorrt, noch bevor der Keimling aufgehen kann. Die nicht ausgelebte Utopie muss als unabgegolten stehenbleiben, ganz in Ernst Blochs Sinne. Die seinerzeitige Verbotsbegründung, der Film habe »gravierende künstlerische Schwächen«, war so falsch nicht (vielleicht aber anders gemeint, als man es heutzutage sieht.)

Ein redlich gemeintes Anliegen bleibt im Dorfstaub stecken. Und insofern ist die Uraufführung dieses Films mehr eine Pflichtübung als eine besondere Kulturtat. So kann der Film als Dokument eines ehrenvollen Scheiterns aus der Frühzeit der DEFA gelten. Er schließt eine Lücke im DEFA-Gesamtwerk, mehr nicht.

Montag, 27. Oktober, 20. Uhr, Zeughauskino im Deutschen Historischen Museum, anschließend Diskussion