Keine Peschmerga nach Kobanê

Türkischer Generalstab will zehn Kilometer Sperrzone an der syrischen Grenze

  • Jan Keetmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Mehr als 800 Todesopfer soll die über einen Monat dauernde Belagerung des nordsyrischen Kobanê durch die Terroristen des IS gefordert haben. Kurdische Verstärkung kommt aber nicht durch.

Die Verlegung von 150 kurdischen Peschmerga-Kämpfern aus dem Nordirak nach Kobanê könnte am heutigen Montag stattfinden, wie es Medienberichte ankündigen. Zuvor war der Sonntag genannt worden, dann kamen Hinweise auf »technische Probleme«.

Dabei hatte sich exakt vor Wochenfrist der 20. Oktober als ein historisches Datum erwiesen. An diesem Montagmorgen warfen US-amerikanische Flugzeuge Waffen über der bereits teilweise vom IS besetzten Stadt Kobanê ab. Kurz darauf erklärte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu, die Türkei werde kurdischen Peschmerga aus dem Irak erlauben, nach Kobanê zu kommen.

Vorangegangen war ein Anruf des US-Präsidenten Barack Obama beim türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan. Darin flehte er ihn an, Waffenlieferungen nach Kobanê über die Türkei zuzulassen. Doch Erdogan blieb beinhart. Daraufhin wurde er durch den Abwurf düpiert. Eine Versorgung auf dem Landweg wäre viel besser gewesen. Beim Abwurf am Falschschirm besteht die Gefahr, dass ein Teil des Gerätes bei der falschen Seite landet. Das geschah auch prompt.

Der IS intensivierte sofort seine Angriffe auf Kobanê, setzte Selbstmordattentäter ein und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch giftiges Chlorgas. Es bestand also durchaus Anlass, die versprochene Verstärkung aus Irak in großer Eile nach Kobanê zu schicken. Am Wochenende konzentrierte sich der Kampf erneut auf die Verbindung zur Türkei.

Doch die türkischen Behörden hatten erst noch Tausend und eine Sicherheitsfrage zu klären. Dann wurde die Zahl der Kämpfer auf 200 festgesetzt. Nicht gerade die Stärke für eine strategische Wende in Syrien. Schließlich verkündete Erdogan die Zahl von 150 irakischen Kurden. Außerdem hätten sich die syrischen Kurden mit der Freien Syrischen Armee (FSA) auf die Unterstützung durch 1300 Mitglieder der FSA geeinigt.

Postwendend dementierte der Co-Vorsitzende der Partei der Demokratischen Union (PYD), Salih Muslim, ein solches Abkommen zwischen seiner PYD und der FSA. Zum einen kämpften ohnehin schon Kräfte der FSA an der Seite der Kurden in Kobanê, andererseits solle die FSA lieber eine eigene Front gegen den IS eröffnen. Das würde auch Kobanê entlasten.

Die Vorgänge sind schwer zu begreifen, wenn man davon ausgeht, dass Erdogan und der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu wirklich nicht wollen, dass Kobanê fällt. Der anerkannte türkische Experte für Außenpolitik, Cengiz Candar meinte, es werde »ein Pferd vor ein Auto gespannt«, wenn es um Hilfe für Kobanê gehe. Die Türkei scheint sich um die Art der Überführung von Hilfstruppen nach Kobanê erheblich mehr Sorgen zu machen, als um die Hilfe selber. So hat der türkische Generalstab die Einrichtung einer zehn Kilometer breiten Sperrzone an der türkisch-syrischen Grenze beantragt.

Bei den Kurden sorgt dieser Plan für Misstrauen. Denn Kobanê und andere kurdische Enklaven würden dem Blick der internationalen Medien entzogen und auch kurdische Helfer aus der Türkei kämen nichtmehr in Grenznähe. Dass nun plötzlich ein verglichen mit den Peschmerga viel größeres Kontingent der FSA nach Kobanê soll, ist ebenfalls merkwürdig. Zur FSA gehören auch islamistische Gruppen und die Grenze zum Al-Qaida-Ableger der Al-Nusra-Front scheint in letzter Zeit zu verschwimmen. Die Türkei hat solche Gruppen im Kampf gegen die kurdische Miliz YPG in Syrien unterstützt.

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