nd-aktuell.de / 29.10.2014 / Politik / Seite 7

Warum musste Rémi Fraisse sterben?

Der gewaltsame Tod eines Studenten zeigt dunkle Flecken auf der französischen Politik

Ralf Klingsieck, Paris
Der Tod eines jungen Demonstranten bei Protesten gegen ein Staudammprojekt in Frankreich hat innenpolitische Auswirkungen.

Wie rund 2000 seiner Kameraden hatte der 21-jährige Student Rémi Fraisse am vergangenen Wochenende im südwestfranzösischen Departement Tarn gegen den Bau eines Damms protestiert, den nicht nur die Umweltschützer für schädlich und überflüssig halten. Nach Zusammenstößen zwischen einer Gruppe von Demonstranten und einer Einheit der Gendarmerie in der Nacht zum Sonntag blieb er leblos auf dem Feld zurück. Der zur Hilfe gerufene Notarzt konnte nichts mehr für ihn tun. Um die Todesursache zu ermitteln, hatte die Staatsanwaltschaft am Montag eine Autopsie veranlasst und noch am Abend das Ergebnis veröffentlicht. Danach ist Rémi Fraisse durch eine Explosion ums Leben gekommen, die in seiner unmittelbaren Nähe erfolgt sein muss.

Augenzeugen berichten, dass die Einsatztruppe der Gendarmerie, die die Baustelle absichern sollte und die von einigen Demonstranten mit Steinen und Brandsätzen beworfen wurde, ihrerseits Hartgummigeschosse abfeuerte und Tränengasgranaten sowie »Krach«-Granaten warf, die betäuben sollen. Es wird vermutet, dass eine solche Granate Rémi Fraisse getroffen hat. Wie der ins Zentrum der Kämpfe geraten ist, muss noch geklärt werden. Seine Eltern und Freunde versichern, dass er zwar ein sehr engagierter Umweltschützer war, sich aber noch nie an Gewaltaktionen beteiligt hat. »Er ist mit seiner Freundin dorthin gefahren und hatte keinen Helm oder irgendetwas mit, was darauf hätte hindeuten können, dass er mit Zusammenstößen rechnete«, sagte sein Vater den Medien. Auch die Organisatoren und die große Mehrheit der Demonstranten wollten ein friedliches Protestwochenende und sich davon nicht durch Provokationen abbringen lassen.

Als am Samstagabend eine Gruppe schwarz vermummter Jugendlicher auftauchte und gegen die Gendarmen Front bezog, hatten sich zahlreiche Umweltschützer mit einer Menschenkette zwischen sie und die Ordnungskräfte gestellt und so einen Zusammenstoß verhindert. Dazu kam es dann allerdings einige Stunden später einen Kilometer entfernt in der Nähe des von den Gendarmen bewachten Parkplatzes der Baumaschinen und -fahrzeuge.

Wie der Staatsanwalt im südfranzösischen Albi, Claude Dérens, am Dienstag mitteilte, wurden Spuren des Sprengstoffs TNT an der Kleidung des Toten gefunden. TNT sei in »offensiven Granaten« enthalten, die von der Gendarmerie verwendet werden. Zudem sei das Geschoss offenbar aus dem Bereich abgefeuert worden, in dem sich Polizisten und Gendarmen aufhielten. Die Eltern von Rémi Fraisse haben Anzeige »gegen Unbekannt wegen vorsätzlicher Tötung« erstattet.

Wie andere Grünen-Politiker macht auch der Europabgeordnete José Bové die Ordnungskräfte für den Tod des Studenten verantwortlich. »Dort martialisch aufzumarschieren, wo es nichts zu verteidigen gibt, ist eine Provokation«, sagte er. Dagegen hat sich Innenminister Bernard Cazeneuve verwahrt und von einer »politischen Instrumentalisierung« gesprochen - ohne ein Wort des Bedauerns über das Todesopfer. Erst nachdem sich die Parteivorsitzende der Grünen, Emmanuelle Cosse, am Dienstagmorgen in einem Rundfunkinterview empört darüber geäußert hat, dass auch 48 Stunden nach dem Tod des Studenten kein Regierungsmitglied auch nur ein Wort des Beileids gegenüber der Familie ausgesprochen hat, holten Präsident François Hollande und Premier Manuel Valls dies in fast gleichlautenden Erklärungen nach. Hollande rief sogar persönlich beim Vater von Rémi Fraisse an und versicherte gegenüber den Medien, dass »alles getan wird, um die ganze Wahrheit ans Tageslicht zu bringen« und um Schlussfolgerungen aus dem Konflikt um den umstrittenen Staudamm zu ziehen.

Diesen 300 Meter breiten und 12 Meter hohen Damm hatte der Generalrat des Departements Tarn beschlossen, um einen Bach anzustauen und so ein Wasserbecken mit 1,5 Millionen Kubikmetern zu schaffen, aus dem die Äcker des Departements bewässert werden können. Alle Proteste, dass so das einzige Feuchtgebiet des Departements und damit zahlreiche seltene Pflanzenarten vernichtet und der Intensivlandwirtschaft geopfert würden, blieben unbeachtet. Als die Grünen vor Wochen endlich durchsetzen konnten, dass Umweltministerin Ségolène Royal ein Gutachten in Auftrag gibt, hatte der Generalrat vollendete Tatsachen geschaffen und den Wald auf dem 34 Hektar großen Gelände des künftigen Staubeckens gerodet.