nd-aktuell.de / 31.10.2014 / Berlin

Flüchtlinge warten auf Tag X

Bewohnern der Hauptmann-Grundschule droht ab Samstag der Rauswurf / Bündnis und Anwohner wollen Räumung verhindern

Robert D. Meyer
Am 1. November läuft die Frist für einen freiwilligen Auszug der Flüchtlinge aus der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule ab. Der Bezirk Friedchshain-Kreuzberg will das Gelände notfalls räumen, inzwischen rechnet kaum noch jemand mit einer friedlichen Lösung.

Es ist eine merkwürdige Stimmung, die am Donnerstag über der Ohlauer Straße in Friedrichshain-Kreuzberg liegt. Vor der von Flüchtlingen besetzten früheren Gerhart-Hauptmann-Grundschule hat sich ein Pulk Journalisten versammelt. Die Bewohner haben zu einer Pressekonferenz geladen. Kameras werden in Position gebracht, Fotoapparate in die Höhe gehalten, selbst das überregionale Privatfernsehen hat ein Team geschickt. Nach fast drei Jahren Asylprotest ist allen Beteiligten dank solcher eindeutiger Hinweise klar, dass es eine dringende Neuigkeit zu vermelden gibt, an der selbst die Medien außerhalb Berlins nicht vorbeikommen. Die Ohlauer Straße ist zum letzten verbliebenen Symbol des Asylprotestes geworden – doch nun drohen die Flüchtlinge nach dem Oranienplatz im April auch diesen letzten Rückzugsort endgültig zu verlieren.

Unmissverständlich hat der Bezirk ihnen klargemacht: Die verbliebenen 45 Bewohner müssen das Gelände bis Ende Oktober verlassen, ansonsten behält sich Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann vor, die Polizei um Amtshilfe zu ersuchen, wie die Grünen-Politikerin am Mittwoch in der Bezirksverordnetenversammlung erklärt. Von einem Ultimatum spricht Herrmann bewusst nicht. Gerade sie als Mitglied einer Partei, die besonders an der Basis noch immer an eine liberalere Flüchtlingspolitik glaubt, will kurz nach dem Sündenfall von Baden-Württembergs Grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann im Bundesrat nicht als nächste Hardlinerin gegenüber Menschen gelten, deren Schicksal ihnen selbst so ausweglos erscheint, dass sie seit fast zwei Jahren unter katastrophalen Bedingungen für mehr bessere Asylrechte kämpfen.

Doch nichts anderes als ein Ultimatum ist es, womit sich die Bewohner der Hauptmann-Schule konfrontiert sehen. »Wir bleiben auf jeden Fall«, verkünden sie am Donnerstag entschlossen, wohl wissend, der »Tag X« kann in jedem Moment kommen, sobald der Kalender am Samstag den 1. November verkündet. Niemand von ihnen will freiwillig gehen. Was dann praktisch unweigerlich passiert, will keiner der Beteiligten offen aussprechen, doch alle können sich noch gut an jene Tage Ende Juni erinnern, als Bezirksbaustadtrat Hans Panhoff (Grüne) die Polizei zur Hilfe rief und das Leben in einem ganzen Kiez praktisch zum Erliegen kam. Aus Verzweiflung stiegen damals einige Flüchtlinge auf das Dach der Schule, drohten damit, im Fall einer Räumung hinabzuspringen. Vier Monate später ist unklar, ob selbst solch eine Aktion die Räumung verhindern könnte.

Die Flüchtlinge wissen: Solch ein Szenario droht jetzt wieder. Bezirk und Hausbesetzer werfen sich gegenseitig vor, die nach dem ersten Räumungsversuch ausgehandelte Vereinbarung nicht einzuhalten. Während die verbliebenen 45 Flüchtlinge den Zuzug weiterer Menschen verhindern sollten, wollte der Bezirk im Gegenzug weiter an einem Dialog festhalten und mit den Flüchtlingen an den Plänen für ein Flüchtlingszentrum arbeiten.