Ein Lied beendet keinen Krieg

Hans-Beimler-Chorleiter Johannes C. Gall über die Wirkung politischen Singens

  • Lesedauer: 3 Min.

Wie sind Sie auf Hanns Eisler gestoßen?

Auf Umwegen. Ich war schon vorher interessiert an politisch engagierter Musik, bin aber nicht sofort auf Eisler gekommen, sondern zuerst auf Kurt Weill. Durch ein Universitätsseminar entdeckte ich Eisler für mich. Die Beschäftigung mit ihm wurde mein Doktorthema. Ich trat in die Internationale Hanns-Eisler-Gesellschaft ein, in deren Vorstand ich mittlerweile bin. Nun arbeite ich an der Eisler-Gesamtausgabe. Als ich Ende 2005 als Dirigent den Hans-Beimler-Chor übernahm, hatte ich vermehrt die Möglichkeit, Eislers politische Stücke aufzuführen. Der Chor hat mich politisiert - und ich habe ihn repolitisiert. In politischen Chören findet auch eine politische Bewusstseinsbildung statt. Während des Singens nimmt man Haltungen ein, die man durchaus auch wieder in Frage stellt.

Was macht für Eisler für Sie so bedeutend?

In erster Linie ist er ein sehr guter Komponist, der seine Musik bestimmten politischen Zwecken unterstellt hat. Sein Werk ist stilistisch ungeheuer vielfältig. Die Spannbreite reicht von Anleihen an die Schönberg-Schule bis zur DDR-Nationalhymne. Als Pionier der Filmmusik steht er vor allem für das Konzept des dramaturgische Kontrapunkts, der zum Beispiel später auch von Ennio Morricone in »Spiel mir das Lied vom Tod« meisterhaft aufgegriffen wurde. Und Eislers politischen Lieder sind sehr einprägsam und aufrüttelnd.

Warum trägt der Hans-Beimler-Chor vorrangig Stücke vom Anfang bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts vor? Gibt es keine guten zeitgenössischen politischen Lieder?

Wir spielen auch neuere, sogar aktuelle Stücke: von Hartmut Fladt, Hannes Waader oder Frederic Rzewskis »Sag Nein! Teil I und II«, wobei sich im letzteren Fall der Komponist der Texte von Wolfgang Borchert und Kurt Tucholsky bedient. Es stimmt aber: Zeitgenössische Komponisten schreiben nur noch selten für politische Chöre. Das liegt am Wandel der Zeit und einer zunehmenden Depolitisierung der breiteren Masse, obwohl wir heute mehr denn je politische Brandherde haben. In den 1920er Jahre hingegen waren die sozialen Widersprüche so groß, dass man in der Arbeiterbewegung die große, weltweite Revolution unmittelbar erwartete. Der Kampf gegen den Faschismus und das Bauernfängertum aus Italien lieferte die Vorlagen für eine Reihe unvergesslicher politischer Lieder, auf die wir heute gerne als Chor zurückgreifen.

Was kann man mit politischem Liedgut konkret bewirken?

Beim Hörer bestimmt eine ganze Menge. Wenn man allerdings behauptet, dass aufgrund einer Kompostion die Welt verändert wird, ist das naiv. Wenn wir für den Frieden singen, entsteht nicht der Frieden oder irgendein Krieg hört auf. Das Musizieren im Chor hat aber auch auf dessen einzelne Mitglieder, von denen viele als Laien begonnen haben und sich mittlerweile zu halbprofessionellen Sängern entwickeln haben, einen Effekt. Sie werden politisch wachsamer. Unsere Programmgruppe stellt ganz basisdemokratisch die Auswahl der Lieder zusammen. Ich halte mich als Dirigent da eher zurück, auch wenn es mich mit Stolz erfüllt, dass etwa Boris Vians Antwort auf den Vietnam-Krieg, »Der Deserteur«, für die Konzerte ausgewählt wurde, wofür ich das Arrangement beisteuerte.

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