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Letztes Symbol des Asylprotestes steht vor Räumung

Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg setzt weiter auf freiwilligen Auszug / Bewohner der Gerhart-Hauptmann-Schule wollen nicht weichen

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Den kämpfenden Flüchtlingen in Berlin droht nach dem Verlust des Oranienplatzes nun die Räumung ihres letzten verbliebenen Rückzugsortes in der Gerhart-Hauptmann-Schule.

Um Mitternacht am Freitag sollte die Frist für die letzten verbliebenen Flüchtlingsbewohner der Gerhart-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße in Kreuzberg auslaufen. Unmissverständlich hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ihnen klargemacht: Die verbliebenen 45 Bewohner müssen das Gelände verlassen, ansonsten behält sich Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) vor, die Polizei um Amtshilfe zu ersuchen, wie die Grünen-Politikerin immer wieder erklärt. Von einem Ultimatum spricht Herrmann indes bewusst nicht. Als Mitglied einer Partei, die besonders an der Basis noch immer an eine liberalere Flüchtlingspolitik glaubt, will sie nicht als Hardlinerin dastehen.

Doch nichts anderes als ein Ultimatum ist es, womit sich die Bewohner der Gerhart-Hauptmann-Schule konfrontiert sehen. »Wir bleiben auf jeden Fall«, verkünden sie am Donnerstag entschlossen auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz, wohl wissend, der »Tag X« kann in jedem Moment kommen, sobald der Kalender am Samstag den 1. November verkündet. Niemand von ihnen will freiwillig gehen. Was dann praktisch unweigerlich passiert, will keiner der Beteiligten offen aussprechen, doch alle können sich noch gut an jene Tage Ende Juni erinnern, als Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne) die Polizei rief und das Leben in einem ganzen Kiez aufgrund der Absperrungen praktisch zum Erliegen kam. Aus Verzweiflung stiegen damals einige Flüchtlinge auf das Dach der Schule, drohten damit, im Fall einer Räumung hinabzuspringen. Vier Monate später droht jetzt erneut Ähnliches.

Bezirk und Hausbesetzer werfen sich gegenseitig vor, die nach dem ersten Räumungsversuch ausgehandelte Vereinbarung nicht einzuhalten. Während die verbliebenen 45 Flüchtlinge den Zuzug weiterer Menschen verhindern sollten, wollte der Bezirk im Gegenzug weiter an einem Dialog festhalten und mit den Flüchtlingen an den Plänen für ein künftiges Flüchtlingszentrum arbeiten.

Wer sich aber vor dem Schulgelände umschaut, muss den Eindruck gewinnen, es gäbe in dieser zugespitzten Situation kaum noch die Möglichkeit für eine gewaltfreie Lösung. Direkt neben dem Eingang zum Gelände liegen weiß-rote Absperrgitter bereit, regelmäßig fährt ein Polizeiauto vorbei. Auf der Wiener Straße stehen am Donnerstag nur wenige hundert Meter entfernt mehrere mit Einsatzkräften besetzte Mannschaftswagen. Obwohl der Großeinsatz an diesem Tag nicht den Flüchtlingen, sondern den Drogendealern im Görlitzer Park gilt, bleiben die Bewohner der ehemaligen Schule in der Ohlauer Straße misstrauisch: Zu oft wurden sie von der Politik in den letzten drei Jahren enttäuscht, sei es, was die wohlwollende Prüfung ihrer Asylanträge betrifft oder die wiederholt zugesagten Gespräche mit Vertretern der Bundesregierung. Die stellten sich am Ende aus Sicht der Flüchtlinge letztlich immer nur als Alibiveranstaltungen heraus, um das Desinteresse an einer grundlegenden Reform des Asylrechts nicht ganz so offensichtlich wirken zu lassen. Da würde es die Flüchtlinge auch nicht wundern, wenn der Bezirk sich nicht an sein eigenes Ultimatum halten würde.

Wie gering das Vertrauen zwischen Bezirk und Hausbewohnern inzwischen ist, zeigt sich symbolhaft auch am Donnerstag. Die Flüchtlinge laden die Journalisten nicht zum Termin in das Gebäude, sondern lediglich auf den Gehweg davor. Noch immer wacht ein Sicherheitsdienst über das Gelände, lässt nur die Bewohner passieren und verriegelt das Tor anschließend immer wieder mit einem schweren Fahrradschloss. Zutritt erhält nur, wer einen Hausausweis besitzt.

Die Bewohnern fürchten, sollten sie die Hauptmann-Schule verlassen, stünden sie endgültig auf der Straße. »Wo sollen wir dann hin?«, fragt ein Flüchtling. Geradezu diplomatisch lautet die Antwort des Bezirksamtes: Jenen 30 Bewohnern, deren Asylverfahren nicht in Berlin laufen, bietet Friedrichshain-Kreuzberg Hostelgutscheine für vier Wochen an. In dieser Zeit sollen sich die Betroffenen überlegen, ob sie in jene Bundesländer oder Staaten zurückkehren, in denen sie über einen Aufenthaltsstatus verfügen. Alle anderen will der Bezirk bei Anträgen auf dem zuständigen Sozialamt unterstützen. Doch es ist kaum damit zu rechnen, dass viele Bewohner auf dieses Angebot eingehen, denn die Ziele der Flüchtlinge sind grundsätzlicher als eine warme Unterkunft.

Unterstützung erhalten die Asylaktivisten zurzeit erneut durch ein breites Bündnis verschiedenster Kultur- und Sozialeinrichtungen, die sich mit den Flüchtlingen solidarisch zeigen. Für den Tag der Räumung, den »Tag X«, sind Proteste geplant. So nennt das Bündnis gegen Zwangsräumung jenen Tag, der kommen wird, aber von dem niemand in der Ohlauer Straße genau weiß, wann es so weit ist. Diese Unwissenheit sei zermürbend, sagt ein Hausbewohner - die Flüchtlinge in der Ohlauer kennen seit drei Jahren kein anderes Gefühl.

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