nd-aktuell.de / 05.11.2014 / Politik / Seite 2

Jeder Fünfte sagt: Die Einheit kommt nie

Was zusammengehört? Auch 25 Jahre nach der Wende sehen viele Ostdeutsche noch große Unterschiede zum Westen

Vincent Körner
Von einer »Mauer in den Köpfen« kann man nicht sprechen. Aber immer noch denken Ostdeutsche und Westdeutsche unterschiedlich über die Vereinigung und deren Folgen.

Eine große Mehrheit der Ostdeutschen ist auch 25 Jahre nach der Wende skeptisch, was den Stand der Einheit betrifft. 50 Prozent sehen noch große Unterschiede, mehr als jeder Fünfte bezweifelt sogar, dass eine wirkliche Einheit überhaupt zu erreichen ist. Das hat der Sozialreport 2014 des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums Berlin-Brandenburg im Auftrag der linksparteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung ergeben.

Zugleich ziehen immer mehr Menschen eine positive Bilanz der Vereinigung - bei 47 Prozent der Menschen im Osten und 46 Prozent im Westen überwiegen die Gewinne die Verluste. Eine negative Bewertung nehmen 20 Prozent vor. »Damit setzt sich ein Trend der Anerkennung der Einheit weiter durch«, heißt es in einer Zusammenfassung der Hauptergebnisse des Sozialreports, die dem »nd« vorliegt.

Bei der Mehrheit beruhe dies »auf erlebten eigenen Erfolgen«, bei einem weiteren Teil auf einer Korrektur der eigenen Erwartungen und bei einem kleineren Teil auf einer Anpassung an das ohnehin nicht Änderbare, so die Forscher. »Die negative Bilanz der Einheit steht im Wechselspiel mit einer tieferen Resignation.« In Westdeutschland sei die Bewertung des Standes der Einheit optimistischer. Dort sehen 55 Prozent diese entweder bereits realisiert oder auf dem besten Wege.

Als Kriterien schälen sich dabei vor allem die Chancen am Arbeitsmarkt und die Angleichung der Einkommen heraus - Letztere vor allem für Ostdeutsche. Im Westen sehen dies nur 46 Prozent als ein wichtiges Kriterium der Einheit an.

Im Leben der Westdeutschen hat sich nach ihrem mehrheitlichen Urteil nicht viel geändert. Im Osten werden positive Veränderungen vor allem in den Bereichen des persönlichen Umfeldes, also mit Blick auf Reisemöglichkeiten, Wohnbedingungen, Einkommen, wahrgenommen. Mehrheitlich negativ bewertet wurden dagegen die Folgen der Wende, die sich auf die Möglichkeiten, im erlernten Beruf zu arbeiten, oder auf die beruflichen Aufstiegschancen auswirkten. In der Studie heißt es allerdings auch: »Der Glaube an ›blühende Landschaften‹ wird mehr und mehr durch realistische, nicht auf absolute Gleichheit in allen Bedingungen ausgerichtete Zielstellungen ersetzt.«

Die Ergebnisse des Sozialreportes 2014 deuten nach Ansicht der Forscher allerdings auch auf neue Spaltungslinien in der Gesellschaft. Während sich jene, die Anteil an wirtschaftlichen Erfolgen haben, sowohl in Ost als auch West in ihren Anschauungen näher kommen, wird der Graben zu denen, die sozial abgehängt sind, immer größer. »Wir stellen insgesamt fest, dass man trotz der häufig geäußerten Animositäten in Ost und West öfter miteinander übereinstimmt - wenigstens in den Durchschnitten der Meinungsäußerungen«, heißt es bei den Sozialforschern. Dies gelte vor allem für die Überzeugungen der Menschen in den Grundwerten wie Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit und Demokratie.

Zugleich zeige sich deutlich ein etwa ein Fünftel bis ein Viertel umfassender Teil der Gesellschaft, »der von der Entwicklung ausgeschlossen bleibt und für den sich auch in Zukunft die Aussichten nicht verbessern werden«. Man stelle »eine fortschreitende politische Desillusionierung der Bevölkerung in beiden Teilen« der Bundesrepublik fest, vor allem aber in den neuen Bundesländern, heißt es.

Über 80 Prozent der Menschen in beiden Teilen Deutschlands ist es laut der Studie zwar wichtig, in einer demokratischen Gesellschaft zu leben - im Osten 73 Prozent, im Westen 86 Prozent. Die Zustimmung zum Wert der Demokratie ist dabei nicht nur, aber auch von sozialen Faktoren abhängig - also etwa von der Qualifikation der Befragten oder dem Einkommen.

Die Zufriedenheit mit der praktizierten Demokratie und den politischen Institutionen ist im Vergleich dazu aber sehr gering: Nur 28 Prozent sind insgesamt zufrieden, sogar nur 13 Prozent sagen das über ihren eigenen politischen Einfluss. »Den Menschen ist es nach wie vor sehr wichtig, in einem demokratischen Gemeinwesen zu leben und ihre Auffassungen zur Gestaltung der Demokratie schließen eine starke Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger ein. Sie wollen sich auch mehrheitlich politisch einbringen und engagieren. Aber die praktische Politik führt eher zu Entmutigung als zu Ansporn.«

Immer mehr würden sich von den Institutionen abwenden und glauben, dass ihre Meinung doch nicht zählt. »Dieser Erosionsprozess der politischen Kultur im Land ist durch die politischen Eliten verschuldet und auch durch die Intransparenz und Bürgerferne der staatlichen Institutionen«, heißt es in dem Bericht. Vor diesem Hintergrund fühlen sich nur 33 Prozent der Befragten im Osten als »richtige Bundesbürger«. Die Hälfte meint, sie sei weder in der Bundesrepublik noch in der untergegangenen DDR zu Hause. »Diese politische und soziale Ortlosigkeit« habe aber in den vergangenen Jahren etwas abgenommen, schreiben die Forscher.