nd-aktuell.de / 07.11.2014 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Massenphänomen Überschuldung

Creditreform stellt Zahlen für 2014 vor - Probleme besonders im Norden und in Städten

Marcus Meier, Düsseldorf
Immer mehr Haushalte sind überschuldet. Gründe sind Arbeitslosigkeit und Krankheit, aber auch falsches Konsumverhalten.

Fast jeder zehnte Erwachsene in Deutschland ist überschuldet. Und es werden immer mehr, vor allem in Ostdeutschland und unter Älteren. Das geht aus dem am Donnerstag vorgestellten »Schuldneratlas« der Creditreform AG hervor. Hauptsorgenkind des Auskunfts- und Inkassounternehmens ist aber das Ruhrgebiet.

Die Daten seien »ernüchternd, zum Teil Besorgnis erregend«. Die Überschuldungssituation deutscher Privathaushalte habe sich in den letzten zwölf Monaten in Ost wie West nochmals spürbar verschlechtert und das trotz eines vergleichsweise entspannten Arbeitsmarktes, hoher Tarifabschlüsse und eines ökonomisch guten Starts in das Jahr 2014. Helmut Rödl, Aufsichtsrat der Creditreform AG, legte die Stirn in Falten, als er in Düsseldorf vor Journalisten den »Schuldneratlas 2014« vorstellte.

Mittlerweile können 6,7 Millionen in Deutschland lebende Erwachsene ihre finanziellen Ausstände zumindest in absehbarer Zeit nicht begleichen, darunter 1,1 Millionen Ostdeutsche. Das ist der höchste Wert seit Beginn der Finanzkrise. »Auch der Blick in die Zukunft ist nicht positiv«, betonte Creditreform-Vorstand Siebo Woydt. Statt 9,9 Prozent werde der Anteil der unter Überschuldung Leidenden im nächsten Jahr wohl knapp über zehn Prozent betragen. Insbesondere steige die Zahl der von harter Überschuldung Betroffenen, bei denen schon Gerichte tätig werden müssen. Längst sei eine konjunkturunabhängige Sockelüberschuldung zu erkennen - viele Menschen kommen auch bei wirtschaftlichem Aufschwung nicht mehr aus den Miesen.

Allerdings ist die Schuldensumme gesunken: Pro Kopf von durchschnittlich 36 900 Euro im Jahr 2006 auf 32 600 Euro aktuell. Insgesamt ist das ein Rückgang von 265 auf 218 Milliarden Euro im selben Zeitraum. Männer sind, da risikofreudiger, fast doppelt so häufig überschuldet wie Frauen, die allerdings aufholen.

Insgesamt sind ein Nord-Süd- und ein Stadt-Land-Gefälle zu konstatieren: In Städten liegt die Zahl der Überschuldeten um drei Prozentpunkte höher als auf dem Land, die südlichsten Bundesländer Bayern (sieben Prozent) und Baden-Württemberg (acht Prozent) sind am wenigsten schuldenbelastet. Schlusslicht ist Bremen; bei den Städten liegt Bremerhaven auf dem letzten Platz - hier ist fast jeder siebte Einwohner überschuldet.

Mit Halle an der Saale liegt nur eine ostdeutsche Stadt in den Top Ten der Kommunen mit den höchsten Überschuldungsquoten. Daraus kann allerdings keine niedrigere Verschuldungsquote im Osten abgeleitet werden: Während Thüringen und Sachsen gut dastehen, ist die Lage in Sachsen-Anhalt und Berlin fast so schlimm wie die in Bremen. Zudem steigt der Anteil der Überschuldeten im Osten drei mal stärker als in den alten Bundesländern, auch wegen der Abwanderung ökonomisch Bessergestellter.

Das eigentliche Sorgenkind ist aber eine Region tief im Westen: Im Ruhrgebiet sind die Phänomene Arbeitslosigkeit, Einkommensarmut und als Folge Überschuldung besonders oft anzutreffen. Arbeitslosigkeit ist laut »Schuldneratlas« der Hauptgrund für ein Abrutschen in kaum mehr begleichbare Schulden. Zweites Hauptrisiko sind Erkrankungen. Allerdings ähneln sich auch die Kurven des Konsumklimas und des Anteils der Überschuldeten, beide steigen und sinken parallel zueinander. Die Creditreform-Experten sprechen hier von »irrationalem Konsumverhalten« als Verschuldungsursache, das teils durch familiäre Vorbilder gleichsam vererbt werde.

Was Daten zur Verschuldung betrifft, sitzt Creditreform an der Quelle. Die Aktiengesellschaft verdient als Auskunfts- und Inkassounternehmen vor allem in zwei Geschäftsfeldern: Sie weiß Bescheid über die Zahlungsfähigkeit potenzieller Kunden und treibt ausstehende Rechnungsbeträge ein - eine Doppelrolle, die durchaus Kritiker auf den Plan ruft.

Den Schuldneraatlas legte Creditreform bereits zum zwölften Mal vor. Insbesondere aus Marketinggründen, wie Vorstand Siebo Woydt auf »nd«-Nachfrage einräumt. Denn so werde offensichtlich, warum Unternehmen die Dienste einer Auskunftei in Anspruch nehmen sollten.