Geister des Vormärz

Linkshegelianer - Porträt einer Intellektuellengruppe

  • Hans-Christoph Rauh
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Die Autoren, beide keine eigentlich akademischen Fachphilosophen, sondern vor allem studierte, promovierte und praktizierende Psychologen bzw. Mediziner, sind bereits durch zahlreiche andere, ebenfalls gemeinsam verfasste kulturgeschichtlich einführende Arbeiten zur europäisch-neuzeitlichen Geistesentwicklung (Humanismus, Renaissance, Aufklärung) bekannt geworden. Diesmal bieten sie Einzelporträts (mit Biografischem, Werkanalyse, Wirkungsgeschichte) zu David Friedrich Strauß, Bruno Bauer, Arnold Ruge, Ludwig Feuerbach Max Stirner, Michail Bakunin, Karl Marx, Friedrich Engels und Heinrich Heine. Sie werden hinsichtlich ihrer jung- bzw. linkshegelianischen Phase in den Jahren des spätaufklärerischen deutschen Vormärz bis zur Revolution 1848 als eine »progressive Intellektuellengruppe« zusammengefasst vorgestellt - alle bildungsgeschichtlich formiert durch und um (daher auch titelbildlich so gruppiert) den letzten großen philosophischen Meisterdenker der vorangegangenen deutschen Klassik: Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Die Universalität seines Systems, einer noch umfassend-ganzheitlichen (und so auch universitär ungemein erfolgreich gelehrten!) Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, ermöglichte späterhin vielfältigste und widerstreitende sowie schließlich auch politisch progressive oder konservative Anknüpfungsweisen durch rechte Althegelianer und linke Junghegelianer (die hier jedoch als solche nicht weiter in Beziehung gesetzt werden). Zunächst werden Strauß und Bauer sowie Feuerbach vor allem hinsichtlich ihrer anti-kirchlichen Religionskritik vorgestellt, Stirner und Bakunin mit ihren unterschiedlichen »individualistischen« bzw. »kommunistischen« Anarchismus und schließlich Marx, explizit jedoch nur in seiner frühen, »linkshegelianischen« Phase bis 1848, die bereits ungemein durch Feuerbach geprägt ist. Was seine berühmten Thesen über diesen belegen. Doch der junge Marx profiliert sich da auch schon völlig eigenständig, wie seine 1844 verfassten ökonomisch-philosophischen Manuskripte bezeugen. In diesem Zusammenhang hätte die utopisch-kommunistische Emanzipationsideologie, vor allem Moses Heß genannt bzw. mit aufgenommen werden sollen. Engels alias »Marx Weggefährte und Mitarbeiter beim Aufbau der sozialistischen Weltanschauung«, wie es im Titel des Porträts über ihn heißt, wird gesondert gewürdigt. Hier stoßen allerdings einige recht banale einleitende Sätze auf, z. B.: »Die Marxisten vertraten den Primat der Politik und stellten die Philosophie in deren Dienst.« Diesen Kommentar hätten sich die Autoren besser schenken sollen, wenn denn nicht mehr dazu gesagt werden kann. Ansonsten unterbleibt hier unangebrachte Polemik gegen den realsozialistisch gescheiterten parteistaaatlichen Marxismus-Leninismus, wofür Marx und Engels ja ganz sicher nicht, vor allem nicht als Junghegelianer verantwortlich zu machen sind. Die Fairness, die Marx und Engels entgegengebracht wird, hätte man sich auch im Porträt über Hegel gewünscht, denn diesen als einen der »Feinde der offenen Gesellschaft« aufzufassen, erklärt natürlich überhaupt nicht Hegels Konservatismus und erinnert an dessen (wohl immer noch nachwirkende) Verurteilung durch Stalin als »aristrokratische Reaktion auf die Französische Revolution wie den französischen Materialismus«. Auf diese Weise ist das von ihm ausgehende progressive Junghegelianertum nicht erklärlich. Widersprechen möchte man auch der Behauptung der Autoren, dass die so genannte »bürgerliche Welt« »stets konservative Denker« bevorzugt, wie es hier ausgerechnet wieder zu Hegel heißt. Erfreulich hingegen ist die abschließende Aufnahme von Heinrich Heine in den Kreis der progressiven »Junghegelianer«. Dessen Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland von 1835 ist tatsächlich einer der wohl bis heute lesenswertesten Schriften jener vormärzlich-revolutionären Periode. Die Autoren haben eine verständlich geschriebene, handbuchartige Darstellung beeindruckender Denker vorgelegt. Wer sich schnell informieren oder sachkundig ...

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