Scherbengericht

Oksana Sabuschko fühlt sich heimatlos

Jetzt hockt sie also hier im fremden Land Amerika, in das sie mit einem Stipendium gelangt ist, um ukrainische Literatur zu unterrichten - die ukrainische Erzählerin dieses schmalen Prosabandes bzw. Romans. Sie blickt zurück in die Kindheit und Jugend, insbesondere aber auf die soeben zu Ende gegangene Beziehung zu ihrem Mann, dem Maler Mykola, den sie noch zu Hause geheiratet und dann in die USA nachgeholt hat. Nun also das Scherbengericht - der Text eine sich in quälenden Mäandern hinziehende Prosastudie, die trotz des reißerisch klingenden Titels vor allem eins sein will: eine Auseinandersetzung mit der ukrainischen Geschichte seit Ende der Breshnew-Ära. Möglicherweise vermag der Titel des Bandes von Oksana Sabuschko, die in ihrer Heimat nach der Erstausgabe 1996 über Nacht zum Literaturstar aufgestiegen ist, sogar die Klammer über einen Prosatext zu bilden, der mal erzählerisch, dann wieder essayistisch eine Marxsche Einsicht zu plausibilisieren versteht: dass am Verhältnis der Geschlechter zueinander sich der Stand und Zustand der Menschheitsgeschichte spiegelt. Und um den steht's nicht eben gut; denn von Gleichberechtigung und Reziprozität ist nichts zu spüren in Kiew und anderswo. Stattdessen regieren Gewalt und Unterdrückung, sind die Verheerungen der Geschichte seit dem Stalinismus bis in die unmittelbare Kutschma-Gegenwart der frühen 90er Jahre den verschiedenen Generationen in Leib und Seele eingebrannt. »Nur die Liebe bewahrt uns vor der Angst. Doch wer (oder was) bewahrt die Liebe vor der Angst?« heißt es bonmotmäßig einmal. Im Gespäch mit der amerikanischen Freundin Donna liefert die Erzählerin die Erklärung für die verfahrene Situation: »Dass wir bei Männern aufgewachsen sind, die nach Strich und Faden von allen Seiten durchgefickt wurden, dass wir dann genau von diesen Männern durchgevögelt wurden, und dass sie in beiden Fällen das mit uns machen, was andere, fremde Männer mit ihnen gemacht hatten? Und dass wir sie als solche angenommen und geliebt haben, wie sie sind, denn sie nicht anzunehmen, hätte bedeutet, auf der Seite der anderen zu stehen?« Sabuschkos Roman ist ein irritierender wie sperriger Text, der die existenzielle Situation einer Heimatlosen beschreibt - getrieben von der Distanz zur Heimat wie zugleich dem distanziert-kritischen Blick auf die neue Welt. Von der Sklaverei ist da ebenso die Rede wie von eigener Entwurzelung, von Möglichkeiten der Flucht in die Literatur genauso wie von mitgeschleppten Abhängigkeiten und nagender Unselbstständigkeit. Dabei gelingen immer wieder beeindruckende Metaphern und Bilder, andererseits aber versackt der Text geradezu in einer kaskadischen Bilderflut, die auf den Leser strapaziös wirkt. Ein gewisses Maß an Weniger wäre - wi...

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