Widerstand ist im Sinne von Sébastien Briat

Gedenken in Deutschland und Frankreich: Vor zehn Jahren kam ein Atomkraftgegner bei Castor-Protest ums Leben

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Donnerstag wurde an den Tod von Sébastien Briat erinnert. Nach dem Unfall vor zehn Jahren sprachen die Castorgegner auch von eigener Verantwortung. Die Umstände sind mittlerweile geklärt.

Die Kirche im Wendland-Ort Langendorf war am späten Abend des 7. November 2004 überfüllt, viele Menschen standen oder hatten sich auf den Fußboden gesetzt. Vor dem Altar spielte eine Frau auf dem Saxofon ein französisches Trauerlied. Immer wieder gingen Leute nach vorn, um Kerzen anzuzünden. Die evangelische Gemeinde hatte zu einer Andacht für den am Vormittag bei Protesten gegen einen Castortransport nach Gorleben ums Leben gekommenen französischen Atomkraftgegner Sébastien Briat eingeladen. Der 21-jährige Aktivist hatte gemeinsam mit anderen Aktivisten versucht, in der Nähe von Nancy den Zug mit hoch radioaktiven Abfällen auf dem Weg von der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague nach Deutschland zu blockieren. Er wurde dabei vom Fahrtwind der Lokomotive erfasst und auf die Schienen geschleudert, dabei wurden ihm beide Beine abgetrennt. Briat starb noch an der Unfallstelle.

Rund um Gorleben, wo tausende Umweltschützer in Camps und an Blockadepunkten die Ankunft der Castoren erwarteten, machte sich Entsetzen breit: Briat war der erste Demonstrant, der im Widerstand gegen die Atommülltransporte starb. Die damals frisch ins Europaparlament gewählte Gorleben-Veteranin Rebecca Harms schlug vor, die Protestaktionen einzustellen, setzte sich damit aber nicht durch. Weiter Widerstand zu leisten, sei im Sinne von Sébastien Briat, meinten die meisten. Spaßaktionen mit als Clowns verkleideten Demonstranten wurden allerdings abgesagt.

Die Kirchen in Langendorf und vielen anderen Orten im Wendland waren am 7. November 2004 die ganze Nacht geöffnet. »Ich bitte Sie von Herzen, offene Kirche zu sein für die Menschen in ihrer Erschütterung«, ließ die damalige hannoversche Bischöfin Margot Käßmann im Gottesdienst in Dannenberg verlesen. In anderen Orten gab es Trauerkundgebungen unter freiem Himmel, allein in Hitzacker kamen fast 2000 Menschen zusammen. »Wir sind so erschüttert, weil wir doch für das Leben kämpfen«, so Mathias Edler von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg damals. An Straßenecken bildeten sich Singkreise. Manche saßen auf der Straße und beteten.

Französische Umweltschützer und Behörden konnten das Unfallgeschehen später einigermaßen rekonstruieren. Wegen mehrerer Fehler der Aktionsgruppe um Briat sowie technischer Pannen - so funktionierte ein Funkgerät nicht - war der Lokführer nicht vorgewarnt, als er mit fast 100 Stundenkilometern die Unfallstelle passierte. Die Aktivisten gestanden in einer Erklärung, die in der französischen Zeitung »Libération« veröffentlicht wurde, auch eigene Fehler ein. Die Erklärung endet mit dem Fazit: »Die Verantwortung aller Beteiligten, auch die unsrige, wird ermittelt werden müssen.«

Anlässlich des 10. Todestages von Briat wollten Atomkraftgegner am Freitagabend an die damaligen Ereignisse erinnern. Die Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg und andere Gruppen riefen zu einer Mahnwache am Lüneburger Bahnhof auf. Zeitgleich war eine Mahnwache im französischen Bar-le-Duc angekündigt, wo Briat beigesetzt wurde. An diesem Sonntag will die BI am Gorlebener Endlagerbergwerk zudem eine Gedenktafel für Briat aufstellen.

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