Zeichensetzer

Ausstellung in Augsburg: »Brecht in der Buchkunst und Graphik«

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 5 Min.
Jahrhundertfigur Bertolt Brecht. Der sich da selbstgefällig als b.b. klein machte, war früh ein Phänomen. Ehe er vielen zum künstlerischen Ereignis wurde, erschien er manchen bereits als menschliche Katastrophe. Vor der Zeit sah er sich selbst genialisch. Und dichtete schlicht. Einfach ergreifend. Bitteschön, unter Genies gibt es so etwas wie eine raffinierte Simplizität. Die hatte er von Anbeginn an. Er musste nur seinen unverkennbaren Rundkopf hinhalten, da begeisterte er die einen und entsetzte die anderen. Er brauchte nur einige Sätze (die er »Vorschläge« zu nennen liebte) hinwerfen, schon stürzte die Meute drauf und die Welt ein. Bekanntlich hat sich die Kunstwelt von solcherlei Einstürzen immer schnell erholt. Brechts Image strahlte immer wieder kraft seiner Verse und Stücke. Und der Vorwurf, er habe Anregungen von jedermann und vor allem jederfrau schamlos benutzt, ist schnell mit einem Hinweis entkräftet: Keiner hat selbst aus so voller Seele andere angeregt zu schöpferischen Leistungen wie gerade dieser Meister aus Augsburg. Seine von ihm stets sehnsuchtsvoll beschworene, lange seltsam undankbare Vaterstadt richtet ihm jetzt eine Ausstellung aus. Sie nun beweist geradezu umwerfend überzeugend die Ausstrahlung des b.b. auf bildende Künstler aller Couleur. Welche immense Wirkung im Bildkünstlerischen! Wer hat ihn nicht alles porträtiert. Allein das würde eine komplette Schau füllen. Diese aber heißt »Brecht in der Buchkunst und Graphik«. Sie umfasst zum kleineren Teil einen Bestand der Stadt- und Staatsbibliothek Augsburg und zum größeren die Sammlung des Volkmar Häußler aus Jena. Und zeigt im Original freie Zeichnungen und Illustrationen sowie Druckgrafik zu Brecht. In den Vitrinen finden wir eine Auswahl der Buchpublikationen mit Illustrationen: Brechts Texte, fantasievoll bebildert, geistreich pointiert im Grafischen fortgesetzt. Geradezu uferlos offenbart sich eine immense Vielfalt der zeichnerischen Handschriften. Die Gestaltungsmittel waren im Gegensatz zu denen der Brechtbühne immer völlig frei und ungebunden. Realistische Werktreue oder abstrakte Überhöhung - das war nie die Frage. Zum Glück kann gerade hier die immer wieder kolportierte lachhafte Behauptung widerlegt werden, Brecht sei in der DDR nie angekommen: Was war es, das der Jenenser Glasingenieur Häußler seinerzeit seiner zu Brecht forschenden Frau zuliebe zu sammeln begann? Es war ausschließlich in jenem Land geschaffen und publiziert. Dessen künstlerisches Biotop hatte seine Wurzeln durchaus in Brechts Gedankengut. Max Schwimmer und Fritz Cremer, Arno Mohr und Gabriele Mucchi, Heinz Zander und Bernhard Heisig stehen für freie grafische Umsetzungen Brechtscher Texte. Und Elizabeth Shaw und Werner Klemke, Klaus Ensikat und Hans Ticha, Albrecht von Bodecker und Horst Hussel - wer will seine DDR-Illustratoren weiter aufzählen? Denn das sind nur die klingenden Namen. Kaum ein Zeichenmeister ließ die Chance aus, wenigstens einen Mackie Messer oder eine Courage, einen Baal oder eine Seeräuberjenny aufs Papier zu bannen. Eine gesamtdeutsche Gemeinsamkeit ist wiederum, dass so viele vorher fast namenlose Talente über sich selbst hinauswuchsen, als sie zu Brecht arbeiteten. Das ist bei Heinz Lanzendorf in Werdau nicht anders gewesen als bei Annette Ziegler in Karlsruhe. So wie einst die Hurwicz und die Reichel mit Rollen wie der Grusche und der Shen Te erst zu bedeutenden Darstellerinnen wurden, fanden Ta- deusz Kulisiewicz in Krakau und Karl-Georg Hirsch in Leipzig zu einzigartiger grafischer Bildsprache erst mit Brechtschen Gestalten. Die da überkorrekt oder eben nur mit scheelem Blick herumkritteln, vergessen leicht, wie sehr dieser b.b. ein Schöpfer von prägnanten Bühnenfiguren war. Mit Versen modelliert, einladend zum Verkörpertwerden. Oder eben zum Gezeichnetwerden. Hat er denn nicht mit seinen Stück-Entwürfen Zeichen auch für Zeichner gesetzt, welche Bühnenfiguren in grafische Chiffren zu übersetzen vermochten? Die Jugendfreundschaft mit Caspar Neher, dem Bildner seiner ersten Bühnen, prägte sein optisches Vorstellungsvermögen enorm. So wie die aggressive Rhythmik des frühen Kurt Weill seine Musikalität ein für allemal bestimmte. Seine Gestalt und seine Gestalten waren und sind Futter für zeichnende Satiriker. Und von denen wimmelte dieses realsozialistisch karge Land, das dem Mann »aus den schwarzen Wäldern« zu Füßen lag. Ob es seinen Großkopfeten passte, oder nicht. Dass in seiner süddeutschen Heimat in den Jahren finsterer Ignoranz immer für und mit ihm gestritten wurde, dafür standen wiederum die fast vergessenen Zeichner der Münchner Künstlergruppe »Tendenzen«. Carlo Schellemann und Guido Zingerl, Jörg Scherkamp und vor allem Eberhard Dänzer interpretierten ihn grafisch, während Brechttochter Hanne Hiob das darstellerisch tat. 1963 konnte der Augsburger Scherkamp seinen Bibliotheksdirektor zur Gründung einer Brechtsammlung bewegen. Und der Stadtrat hat seinen Segen dazu gegeben. Dadurch und mit Hilfe der tatkräftigen »Ostförderung« durch den Privatsammler aus Jena wurde nun das Ereignis dieser Schau möglich. Eine Nagelprobe für die Augsburger Bürger, ob sie nun Brecht-Fans geworden sind - oder nicht. Bislang pilgern mehr Leute von weiter her in die Toskanische Säulenhalle im alten Zeughaus der Stadt. Ob die Einheimischen bis 3.9. noch merken, dass ihre Stadt den Berlinern damit bereits den Rang abläuft, die 1998 eine viel weniger anschaulich-opulente Brecht-Schau veranstalteten? Am Eingang grüßt Herbert Sandbergs Brechtporträt von 1958 neben Ilse Schreiber-Nolls »Bertolt-Brecht-World« vom Jahr 2000. Dann geht ein wahres Feuerwerk von grafischen Einfällen in den je zehn Kojen rechts und links unter den Säulen los. Wegzeichen beim Rundgang markieren die Mooreichenholz-Skulpturen von Guido Häfner. Faszinierend einige riesige Künstlerbücher, etwa von Hannes Gaab und Christoph Meyer. Oder die sensiblen Bleistiftblätter Silvia Wehrlis zu den Kranichtanz-Versen. Ein seltenes historisches Dokument: Hans Tombrocks, des Exilgefährten und Künstlerfreundes, taufrisch zum 1941 gerade brandneuen Galilei-Manuskript entstandenen Ätzungen. All dies kostbare »Material« hätte eine grandiose Buchpublikation zur Ausstellung hergegeben - wenn, ja wenn der leidige Sparteufel nicht im letzen Moment zugeschlagen hätte. Nun haben wir zwar einen von Volkmar Häußler grundsolide erarbeiteten, reich bebilderten Begleitband, doch die verlegende Firma »Augsbuch« hat auf jene buchkünstlerische Sorgfalt und Gestaltung verzichtet, die Bibliotheksdirektor Dr.Gier in seinem Katalogvorwort zu Recht als Brechts vorzüglichstes Ziel lobt. Brecht in der Buchkunst und Graphik. Ausstellung der Staats-und- Stadtbibliothek Augsburg und der Sammlung Volkmar Häußler in der Toskanischen Säulenhalle, Zeugplatz 4, Augsburg. Bis 3.September Di, Mi, Fr,Sa,So 10-17 Uhr, Do 10-20 Uhr, Katalog 19,80 EUR.
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