»Bin nicht der neue Baumann - ich bin Jan Fitschen«

Gespräch mit dem Überraschungs-Europameister über 10 000 m

  • Lesedauer: 3 Min.
Der 29-jährige Wattenscheider Jan Fitschen wurde in Göteborg sensationell Europameister über 10 000 m. Im Finish überlief er die beiden favorisierten und führenden Spanier Jose Manuel Martinez (28:12,06) und Juan de la Ossa (28:13,73) siegte in neuer persönlicher Bestzeit von 28:10,94 min. Fitschen, der vor vier Jahren bei den EM in München wegen einer Viruserkrankung nicht starten konnte, ist nach dem Berliner Jürgen Haase (1966 und 1969) und dem Hallenser Manfred Kuschmann (1974) der dritte deutsche Europameister auf dieser Strecke.
Herr Fitschen, wie kam es dazu?
Fitschen: Ich weiß es selbst nicht genau, wie ich das gemacht habe. Bis ich das realisiert habe, dauert es wohl noch zwei Jahre. Aber es war genau so ein Rennen, wie ich es mir gewünscht habe. Nicht zu schnell und nicht zu langsam. Wenn die richtig schnell laufen, kann ich nix ausrichten. Aber so war ich 600 m vor Schluss plötzlich Vierter und habe mir gedacht: Vierter ist ein doofer Platz, aber das ist deine Chance. Also habe ich noch einmal alle Kräfte mobilisiert und einfach alle überholt.

Es existiert ein Video, auf dem Sie ankündigen: Ich werde Europameister! Haben Sie wirklich darauf spekuliert?
Nein. Das war Quatsch, einfach nur Blödsinn. Vorher kann man ruhig mal eine große Klappe haben. Geträumt habe ich von einer Medaille, sonst hätte ich nicht auf die Hallen-WM verzichtet. Aber grundsätzlich bin ich mit der Einstellung ins Rennen gegangen, dass eine Top-Ten-Platzierung schon okay gewesen wäre. Es war erst mein viertes Rennen über die 10 000 m auf der Bahn.

Aber Sie haben finanziell und vom Aufwand her schon sehr viel investiert im Vorfeld ...
Ja, ich war insgesamt 14 Wochen in vier Höhentrainingslagern und habe da an die 3000 Euro aus eigener Tasche zugezahlt.

Sie werden derzeit mit Dieter Baumann verglichen. Stört Sie dieser Vergleich oder ehrt er Sie?
Ich bin nicht der neue Dieter Baumann - ich bin Jan Fitschen. Er ist ein völlig anderer Typ als ich. Es ist immer interessant, mit ihm zu diskutieren. Wir tauschen uns aus. Er hat seinen Weg gefunden und war sehr erfolgreich. Aber mein Trainer Tono Kirschbaum und ich müssen einen Weg für mich finden.

Gibt es da große Unterschiede?
Es sind andere Philosophien, weil wir auch andere Typen sind. Dieter sieht natürlich immer alles anders, und weil er mal Olympiasieger war, muss das für ihn im Zweifelsfall auch immer alles richtig sein. Und darüber lässt er auch nicht diskutieren. Aber das kann ich natürlich so nicht akzeptieren.

Wo gibt es die größten Meinungsverschiedenheiten?
Alles Kleinigkeiten, aber es geht um viele Bereiche, zum Beispiel wie man das Training anordnet oder wann man belasten muss.

Sie haben bei Ihrem EM-Sieg Ihre persönliche Bestzeit um fast neun Sekunden verbessert. Glauben Sie, dass manche das etwas kritisch beäugen werden?
Man macht sich schon so seine Gedanken, wenn da in Madrid ein Dopinglabor ausgehoben wird. Es gibt immer noch Leute, die sich bis zum geht nicht mehr puschen. Mir wäre es am liebsten, man würde alle Blutkonserven einfrieren, nach fünf Jahren wieder testen und die Schuldigen ins Gefängnis stecken.

Gespräch: Holger Schmidt, sid
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