Küsse schwerer als Bomben

FAQs von Everett Lewis

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Schwule sind schwul, und das ist gut so. Oder wäre gut so, wenn es da nicht die Hetero-Welt gäbe, die Welt der wohlgeordneten Vororte mit ihren manikürten Rasenflächen und geistigen Scheuklappen, die Welt der »anständigen« Familien, die ihre Kinder lieber manipulieren, prügeln, missbrauchen oder gleich ganz ausstoßen, als sie einfach schwul sein zu lassen. Und, tödlicher noch, die Welt derer, die der amerikanische Slang als Trailer Trash bezeichnet, als den menschlichen Abschaum aus den Wohnwagensiedlungen, weil mobile Unterkünfte auf Rädern ihre bevorzugte Heimstatt sind. Denn diese militanten Verteidiger des »Hier ist ein Mann noch ein Mann«-Glaubens tragen Waffen, und wenn gerade keine Feuerwaffe zur Hand ist, schwingen sie eben Baseball-Schläger und Radmutternschlüssel gegen alles, was anders ist oder anders aussieht: in diesen besonders bildungsfeindlichen Hetero-Kreisen gilt gemeinschaftliches Schwulenklatschen als Patentrezept, um einen langweiligen Abend aufzumischen. Dass auch das offizielle Amerika - oder jedenfalls die ideologische Speerspitze der einen Hälfte davon - nicht viel weiter gediehen ist im toleranten Umgang mit Lebensentwürfen, die eine Alternative zur Mutter-Vater-Tochter-Sohn-Familie im Vorstadthäuschen darstellen könnten, belegt »FAQs« gleich mit seiner Titelsequenz. Da wird ausgiebig aus einem Programmentscheid der texanischen Sektion der Republikanischen Partei aus dem Jahre 2004 zitiert, der deutlicher kaum sein könnte in seiner ausdrücklichen Verweigerung aller bürgerlichen Rechte für homosexuelle Lebensformen und Lebensgemeinschaften. Irgendwie rührend nostalgisch wirkt da eigentlich nur die abschließende Forderung, es möge doch bitte nicht länger verteufelt werden, wer öffentlich gegen solche Lebensformen und Lebensgemeinschaften hetzt. Was aber wäre, wenn es eine Welt gäbe, in der Gewalt überholt, Waffen überflüssig und Toleranz im Zusammenleben die Regel wären? Wo Schwule eben schwul und Heteros eben hetero sein könnten, ganz ohne Gewalt und gegenseitige Verächtlichmachung? Die Antwort auf diese Frage liefert »FAQs« gleich mit, jedenfalls aus einer nach jahrelanger Diskriminierung endlich mal ganz unverhohlen einseitig schwulen Perspektive. Nach ein paar dunkleren Werken über Straßensex, Ausbeutung und schwule Gelegenheitsprostitution und dem entspannten schwulen Reigen »Luster« (2002) präsentiert Filmemacher Everett Lewis in seinem neuesten Werk - der Titel ist ein Wortspiel aus dem englischen fags, für Schwule, und FAQ, der Abkürzung der Wendung für grundsätzliche Fragen, Frequently Asked Questions - die Utopie einer zweigeteilten Welt, in der Küsse die Gesellschaft verändern, persönliche Traumata durch Liebe, nicht Bomben, überwunden werden, Polizisten öffentlich Beziehungen mit Transvestiten eingehen und selbst noch im Klischee-Schwulenschläger mit Karohemd und umgedrehter Baseball-Kappe ein potentieller Schwuler steckt. Da versammelt sich in West Hollywood eine Schar obdachloser Straßenkids auf der Flucht vor Diskriminierung, Ausbeutung und tödlicher Bedrohung um eine Drag Queen namens Destiny, und erfährt zum ersten Mal den nahezu bedingungslosen Rückhalt, den eine Familie eigentlich bedeuten sollte. Schon der Name des Transvestiten spricht Bände: Destiny, Schicksal, ist eine Figur auf halber Strecke zwischen klassischer Mutterrolle und der Schutzmantelmadonna der christlichen Ikonografie. Selbstgewählte Familienzusammenhänge treten an die Stelle der bestenfalls verständnislosen, schlimmstenfalls gewalttätigen Geburtsfamilien, und zusammen lernt man, die homophobe Gewaltbereitschaft der unschwulen Außenwelt nicht mit Gegengewalt zu strafen, sondern mit dem wirksamsten Mittel, das die schwullesbische Gemeinde zur Verfügung hat: das hemmungslose - allerdings kondomgeschützte - Küssen und Kopulieren. »Make Love, Not War« ist das Motto: Küsse statt Bomben, Subversion von innen gegen das Feindbild des bösen Hetero. Was dem Zuschauer neben der Befriedigung der Lust am Happy End auch noch das ästhetische Vergnügen einer ganzen Reihe hübscher Jungs in lustvollen Umarmungen beschert. Nur der eine Drag King in der neuen kalifornischen Wahlfamilie, der kommt vie...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.