Stammzellen-Eldorado Schweden

Kaum Bedenken gegen liberale Regelung beim nördlichen Nachbarn

  • Von Bernd Parusel, Stockholm
  • Lesedauer: 2 Min.
Anders als in Deutschland wird die jüngste Lockerung der Regeln für die EU-Förderung von Forschungsprojekten mit embryonalen Stammzellen von nahezu allen Parteien begrüßt. Das Land besaß schon zuvor eine der freizügigsten Regelungen für die Stammzellforschung.
Als sich die Forschungsminister der EU Ende Juli darauf einigten, dass Forschungsprojekte mit embryonalen Stammzellen auch weiterhin mit EU-Geldern unterstützt werden dürfen, wenn dabei keine Embryos getötet werden, freute sich Leif Pagrotsky über einen »großen Erfolg für die Forschung«. Der sozialdemokratische Minister für Kultur und Forschung in Schweden ist sich sicher, dass Stammzellenforschung »im Kampf gegen heute unheilbare Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer oder Leukämie wichtige Resultate« liefern wird. Vor dem EU-Beschluss hatte Pagrotsky gewarnt, die Gegner der Stammzellenforschung behinderten den »Kampf gegen menschliches Leiden«, und sie täten dies aufgrund »unsachlicher, religiöser und gefühlsmäßiger« Überlegungen. Stammzellen sind noch nicht auf eine bestimmte Funktion im Organismus spezialisierte Zellen. Anders als bei den in jedem Menschen vorkommenden »adulten« Stammzellen gelten jene aus dem frühen Embryo - die »embryonalen« Stammzellen für besonders hilfreich, da sie das Potenzial haben, sich zu jedem Zelltyp des menschlichen Körpers zu entwickeln. Seit 1991 ist in Schweden Forschung an befruchteten Eizellen erlaubt. Paare, die eine künstliche Befruchtung im Reagenzglas vornehmen lassen, können »überzählige« befruchtete Eizellen zu Forschungszwecken spenden. Zu den Begrenzungen, die der Gesetzgeber vorsieht, gehört lediglich, dass Forschung nur in den ersten vierzehn Tagen nach der Befruchtung stattfinden darf. Danach muss der sich entwickelnde Embryo zerstört werden. Zudem darf ein Embryo, an dem Experimente vorgenommen wurden, nicht wieder in den Körper einer Frau eingepflanzt werden. Seit Januar 2004 gilt zudem ein Gesetz, nachdem jedes Forschungsprojekt am Menschen einer »ethischen Prüfung« standhalten muss. Stammzellenforschung und therapeutisches Klonen sind demnach nur dann möglich, wenn andere Forschungsmethoden nicht zur Verfügung stehen. Gegen diese »fortschrittliche« Linie gibt es nur wenig Widerspruch. Die Kirche, in vielen Ländern Hauptgegner solcher Forschungen, hat in Schweden wenig Einfluss. Die meisten bürgerlichen Politiker stützen den Kurs der Regierung. Auch die Linkspartei »Vänsterpartiet« und die Grünen stehen der Stammzellenforschung grundsätzlich positiv gegenüber. Die Linkspartei stört sich nur am kommerziellen »Gewinninteresse« medizinischer Forschung. Der deutlichste Widerspruch im Parlament gegen die Stammzellenforschung kommt von der kleinen Partei der Christdemokraten. Einer ihrer Reichstagsabgeordneten, Per Landgren, forderte die Regierung im vergangenen Jahr auf, die kommerzielle Nutzung menschlicher Eizellen zu verbieten. Landgren befürchtet, dass der Bedarf westlicher Nationen an Eizellen in den nächsten Jahren derart steigen wird, dass sich die »kapitalistische Welt« Frauen in Entwicklungsländern Eizellen abkauft. Ähnlich kritische Stimmen sind in Schweden selten. Wer ethische Bedenken gegen Embryonenforschung geltend macht, wird von Eiferern wie Leif Pagrotsky mit dem Vorwurf konfrontiert, er sabotiere die Hoffnung von Diabetikern, Alzheimer- oder Parkinson-Kranken auf Heilung.
#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal