»Leuchtturm des Ostens«

Für Energie Cottbus beginnt am Wochenende nach dreijähriger Zweitklassigkeit erneut das Abenteuer 1. Fußball-Bundesliga

  • Matthias Koch
  • Lesedauer: ca. 5.5 Min.

Die Weltmeisterschaft ist längst Geschichte. Am Freitag beginnt die neue Saison in der 1. Fußball-Bundesliga. Mit dabei ist Aufsteiger Energie Cottbus, die einzige Mannschaft aus den neuen Bundesländern. Trotz aller Vorfreude ist die Stimmung beim Verein und den Lausitzern nicht gerade euphorisch, aber gedämpft optimistisch.

Von wegen Braunkohle und Provinz. Cottbus hat sich in den letzten Jahren herausgeputzt. Die Fußgängerzone und der Altmarkt stünden mancher Großstadt gut zu Gesicht. Auf dem zentralen Platz herrscht schon am späten Vormittag Biergartenatmosphäre. Einheimische und Touristen vergnügen sich in der verkehrsberuhigten Zone.
Viele Restaurants und Bars haben draußen ihre Tische und Stühle mit Zelten überdacht. Auch das »Mosquito«, eine der angesagtesten Lokalitäten der Stadt. Ob hier dem Saisonstart von Energie Cottbus am Sonnabend bei Borussia Mönchengladbach entgegen gefiebert wird? »Natürlich«, sagt Kellner Michael Bischoff. Er besucht ab und an die Heimspiele der Cottbuser Fußballer. »Wenn die Mannschaft so zusammenhält wie in der letzten Saison, kann sie den Klassenerhalt schaffen«, meint der Azubi, als er mein Mittagessen serviert.

Opa bezahlt die Eintrittskarten
Viel Zeit zum Genießen von Curryhühnchen und Reis bleibt mir nicht. Von weitem sehe ich zwei junge Burschen heranradeln. Einer von beiden trägt das aktuelle Trikot des einzigen Erstligisten aus den neuen Bundesländern. »Wir fahren zum Fanshop in der Berliner Straße«, erzählt Blondschopf Christopher Peterle. Der 13-Jährige zieht, wie er stolz berichtet, fast jeden Tag ein Hemd seines Lieblingsvereins an. Christopher und sein achtjähriger Bruder Alexander, der ein Trikot des FC Barcelona übergezogen hat, wurden vom Opa mit dem nötigen Kleingeld ausgestattet, um sich Tickets für das erste Heimspiel gegen den Hamburger SV am 20. August kaufen zu können.
Rund 12 000 Karten gingen bislang im Vorverkauf weg, die 4500 Käufer von Jahreskarten (ALG-II-Empfänger beziehen Ermäßigungen) mit eingerechnet. Im neuen Fanshop in unmittelbarer Nähe des Altmarktes, der erst am Freitag vergangener Woche eröffnet wurde, geben sich die Anhänger die Klinke in die Hand. Von der Weinflasche über Wimpel, Tickets und Schals bis zum Duschgel - fast alles, was das Herz eines Fans begehrt, ist zu haben. Nur eines nicht. »Die neuen Trikots sind ausverkauft«, sagt Anette Petatz.
Seit neun Jahren verkauft die blonde Frau Fanartikel ihres Vereins. Durch den Umzug vom Altmarkt in die Berliner Straße können die Energie-Anhänger das Geschäft nun mit dem Auto ansteuern. »Mit dem nahen Saisonauftakt nimmt der Zulauf täglich zu. Ich habe viel zu tun«, sagt Anette Petatz. Anhand der gewünschten Beschriftungen weiß sie natürlich genau, welche Akteure bei den Cottbuser Anhängern am beliebtesten sind: Kapitän Kevin McKenna und Torhüter Tomislav Piplica.
Die beiden bekanntesten Spieler waren schon 2000 dabei, als der krasse Außenseiter seine ersten Partien in der 1. Bundesliga bestritt. Bis zum Abstieg im Sommer 2003 wurden allen großen Mannschaften wie Bayern München, Borussia Dortmund oder der Hamburger SV mindestens einmal von den Lausitzern niedergerungen. »Vielleicht ist die Vorfreude deshalb diesmal nicht ganz so groß wie nach dem ersten Aufstieg im Jahr 2000«, meint Wolfgang von der Burg. Der Redakteur der Lausitzer Rundschau berichtet seit 35 Jahren über Energie Cottbus.
Auf ihn und seinen Kollegen Frank Noack kommt in der 1. Liga mehr Arbeit zu. Die Regionalzeitung will in Sachen Energie weiterhin die Nase vorn haben, auch wenn nach drei Jahren wieder alle größeren Berliner Zeitungen Jahresakkreditierungen geordert haben. »Es wird vom ersten Tag gegen den Abstieg gehen«, befürchtet Wolfgang von der Burg. »Aber vielleicht ist es auch ein Vorteil, dass alle Experten die Mannschaft als Abstiegskandidat Nummer eins ansehen.«

Neues Triumvirat gibt den Ton an
Das war in den Jahren 2000 bis 2003 nicht anders. Doch die Zeiten haben sich geändert. Das einstige Triumvirat mit Präsident Dieter Krein, Manager Klaus Stabach und Trainer Eduard Geyer musste zwischen November 2004 und Sommer 2005 unfreiwillig gehen - aus sportlichen und wirtschaftlichen Gründen. Ihre Nachfolger - Coach Petrik Sander sowie das Vereins-oberhaupt Ulrich Lepsch und Manager Steffen Heidrich - werden sich allerdings an den Taten ihrer erfolgreichen Vorgänger messen lassen müssen. Im Lausitzer Revier kennt sich die neue Führungsriege jedoch bestens aus. Sander hat mit Unterbrechungen alle Hochs und Tiefs des Cottbuser Fußballs seit 1981 als Spieler und Trainer miterlebt. Lepsch, Chef der Sparkasse Spree-Neiße, stieg nach dem planmäßigen Rückzug von Zwischenboss Michael Stein im Juli vom Verwaltungsratsvorsitzenden zum Präsidenten auf. Heidrich, bis Juni Teammanager bei Dynamo Dresden tätig, trug zwischen 1998 und 2001 das Cottbuser Trikot als Spielgestalter.
Präsident Lepsch weiß genau, wie schnell das Geschäft mit dem Fußball zum Fiasko werden kann. Zwei Mal in den letzten beiden Jahren rettete unter anderem »seine« Sparkasse dem Klub in letzter Sekunde die Lizenz für den bezahlten Fußball. Der Absturz in die Regionalliga oder gar eine mögliche Insolvenz wären sonst die Folge gewesen. »Ich war das erste mal 1995 im Stadion der Freundschaft. Damals konnte man auf der Tribüne noch jedem Besucher einzeln die Hand geben«, erinnert sich der gebürtige Schwabe Lepsch. »Und heute ist Energie Cottbus ein Leuchtturm. Keine Institution und kein Ereignis hat die Stadt nach der Wende so bekannt gemacht wie dieser Verein - auch nicht die Bundesgartenschau 1995.«
Der Saisonetat von 19,9 Millionen Euro ist der kleinste der Liga. »Wir müssen aber nicht wie andere Bundesligisten noch hohe Summen für den Stadionbau abzahlen«, stellt Lepsch in seinem schmucken Büro nahe der Cottbuser City klar. Natürlich träumt auch der Cottbuser Präsident vom erneuten sportlichen Wunder aus der Lausitz. Doch der »Urlaub« von der 2. Bundesliga ist für die Rot-Weißen insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht ein Glücksfall. Von den 4,5 Millionen Euro Verbindlichkeiten können in der kommenden Serie möglicherweise ein bis zwei Millionen Euro abgebaut werden. Lepsch: »In der 2. Liga hätte dies wesentlich länger gedauert.«
Trainer Petrik Sander, der bis Weihnachten an den ersten drei Tagen in der Woche in Köln seine Fußballlehrerlizenz bauen muss, will den Aufenthalt in Liga eins auf alle Fälle verlängern. Chancenlos sieht er seine Elf nicht: »Erstens werden wir als Mannschaft mit Moral, Leidenschaft und Kampfkraft weiter zusammenwachsen. Zweitens haben wir ein gesundes Umfeld. Und drittens baue ich auf den Überraschungseffekt. So richtig scheint man uns nicht ernst zu nehmen.«
Die ganz großen Kracher sind unter den Neuzugängen aber nicht zu finden. Der chinesische Offensivmann Jiayi Shao von 1860 München und Stürmer Marco Küntzel aus Bielefeld sind noch die bekanntesten. »Wir haben eine gute Mannschaft zusammengestellt, auch wenn wir aus finanziellen Gründen nicht alle Spieler bekommen konnten, die wir haben wollten«, gibt Manager Steffen Heidrich zu.

»Wollen es den anderen zeigen«
Auch wenn er das Tragen eines Anzuges gewöhnungsbedürftig findet, ist Heidrich in der Außendarstellung von ganz anderem Schlag als beispielsweise der langjährige und eher volkstümliche Manager Klaus Stabach. Somit entspricht er genau den Vorstellungen von Präsident Lepsch, der den Verein gegenüber den alten Bundesländern öffnen will. Soll heißen: Cottbus darf durchaus das Gallische Dorf der Liga sein, ohne sich jedoch einzuigeln.
Dennoch sieht sich der Managernovize Heidrich vor allem in der Verantwortung für den Ostfußball. »Wir sind nun mal die einzige erstklassige Elf aus den neuen Bundesländern. Das müssen wir uns zu Nutzen machen. Wir sind der Osten. Wir wollen es den anderen 17 Mannschaften zeigen. Ich gehe vom Klassenerhalt aus. Auch wen...

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