• Politik
  • Krieg gegen Libanon geht in die fünfte Woche

Krass missdeutetes Recht auf Selbstverteidigung

Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen setzt klare Grenzen

  • Hans Voß
  • Lesedauer: 3 Min.
Immer wenn in einem der internationalen Gremien über eine Resolution beraten wird, die den gegenwärtigen Krieg im Nahen Osten beenden soll, sprechen sich deutsche Regierungspolitiker gegen einen sofortigen Waffenstillstand mit der Begründung aus, Israel habe das Recht auf Selbstverteidigung. Sie bedienen sich damit eines Arguments, das von den USA in die jeweiligen Dokumente hineingedrückt wird. Nun ist überhaupt nicht strittig, dass Israel, wie alle souveränen Staaten auch, über ein solches Recht verfügt. Diesen Umstand besonders zu betonen, ist an sich überflüssig. Es sei denn, man verfolgt eine besondere Absicht. Und in der Tat, eine solche Absicht liegt vor. Es wird suggeriert, Israel habe das Recht, den Krieg fortzusetzen, weil es in Selbstverteidigung handelt. Doch es sei daran erinnert, dass Israel die Angriffe auf den Gazastreifen und auf Libanon mit der Begründung begann, entführte Soldaten befreien zu wollen. Von Selbstverteidigung war zunächst nicht die Rede. Erst als die Hisbollah im Zuge der eskalierenden Kampfhandlungen ihre Raketenangriffe auf israelisches Territorium intensivierte, kam Selbstverteidigung ins Spiel. Aber kann nicht auch Libanon für sich in Anspruch nehmen, in Selbstverteidigung zu handeln, wenn Hunderte seiner Bürger ermordet, Hunderttausende vertrieben werden und die gesamte Infrastruktur seines Landes zerstört wird? Selbstverteidigung ist nach geltendem Recht ein zeitlich begrenzter Akt, der dazu dient, eine Aggression zu beenden. Sie ist nach Artikel 51 der UNO-Charta an strenge Regeln gebunden. Sie darf nicht Vorwand für politische Umwälzungen und territoriale Ansprüche sein. Sie muss sofort beendet werden, wenn eine Chance für den Frieden besteht. Auf jeden Fall richtet sich die Aufforderung zur Beendigung der Kampfhandlungen und zur Herstellung eines Waffenstillstandes an beide Seiten. Wer die Konflikte im Nahen Osten über einen längeren Zeitraum verfolgt hat, der weiß, dass einseitige Parteinahmen niemals hilfreich waren. Auch muss man sich von dem Gedanken verabschieden, dass es möglich ist, die Hisbollah dauerhaft auszuschalten. Die Situation verlangt geradezu danach, die Forderung zu stellen, die Waffen auf beiden Seiten ruhen zu lassen. Allein humane Gründe verlangen das. Und auch juristische Tricks mit dem Recht auf Selbstverteidigung helfen nicht weiter. Wer dennoch die einseitige Sicht beibehält, wer Israel in seinen Begründungen bestärkt, den Krieg mit dem Ziel fortzusetzen, die politische Landkarte im Nahen Osten neu zu ordnen, lädt eine große Verantwortung auf sich. Formal gesehen kommen die deutschen Regierungspolitiker mit ihrer Missdeutung des Rechtes auf Selbstverteidigung auch mit ihrem eigenen Anspruch in Kollision, für einen Schutz des internationalen Rechts einzutreten. Nur um den USA zu Diensten zu sein, nimmt man von diesem Anspruch Abschied. Nur beiläufig sei bemerkt, dass die Bundesregierung in Afghanistan ebenfalls einen Bruch mit ihrem bisherigen Rechtsverständnis vorgenommen hat. Die Regierung Gerhard Schröders hatte sich lange gegen das US-Ansinnen gewehrt, die von der UNO als Schutz nach Kabul entsandte ISAF-Truppe, der auch Bundeswehreinheiten angehören, mit der von den USA angeführten Koalition der Willigen (Enduring Freedom) zusammenzulegen. Sie wollte nicht in die Kriegshandlungen hineingezogen werden. Sie wollte auch nicht den USA die fehlende Legitimation für ihren Krieg in Afghanistan verschaffen. Diese Position hat die Regierung Angela Merkels aufgegeben. Seit dem 1. August sind beide Verbände vereint. Die ISAF hat die ersten Opfer zu beklagen. Interesse verdient, dass die USA bisher den Krieg in Afghanistan mit der Begründung führten, es gehe um Selbstverteidigung gegenüber den Attentätern vom 11. September. Welch eine merkwürdige Parallele zu den Begründungen zur Fortsetzung der israelischen Offensive im Libanon!
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