Quantensprung im deutschen Sport

Neues Gesetz könnte wirksames Mittel im Kampf gegen Doping sein

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.
Jahrelang wurde darüber debattiert, nun nimmt es Form an: Das deutsche Anti-Doping-Gesetz sieht harte Strafen für Doper und ihre Helfer vor.

Auch alte Männer sind zu Korrekturen fähig. In den 70er Jahren wurde Wolfgang Schäuble, damals Vorsitzender des Bundesfachausschusses Sport der CDU, mit der Überlegung bekannt, anabole Steroide in einigen Sportarten doch für westdeutsche Athleten zulassen zu können. »Wir wollen solche Mittel nur eingeschränkt und unter ärztlicher Verantwortung einsetzen, weil es offenbar Disziplinen gibt, in denen heute ohne den Einsatz dieser Mittel der leistungssportliche Wettbewerb in der Weltkonkurrenz nicht mehr mitgehalten werden kann«, lautete die damalige Aussage Schäubles.

Vier Jahrzehnte später stellt sich Schäuble als Finanzminister zumindest nicht öffentlich gegen den Gesetzentwurf zur Dopingbekämpfung, den seine Kabinettskollegen Innen Thomas de Maizière (CDU) und Justiz Heiko Maas (SPD) am Mittwoch der Öffentlichkeit vorstellen wollen. Bestimmte Substanzklassen, die - möglicherweise - Konkurrenzfähigkeit in einzelnen Disziplinen herstellen könnten, sind darin nicht von der Strafverfolgung ausgeschlossen. Das ist ein Lernprozess, gerade in der Politik.

Die gute Nachricht ist: Doping wird nun auch in Deutschland staatlich verfolgt. Wie die »Süddeutsche Zeitung« in Erfahrung brachte, drohen Athleten, die beim Dopen erwischt werden, bis zu drei Jahre Haft. Der Besitz von Dopingmitteln kann mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden. Auch Ärzte und Betreuer, die beim Doping Hilfe leisten oder Athleten sogar dazu animieren, müssen mit Gefängnisstrafen rechnen. Ihnen drohen im schweren Falle sogar bis zu zehn Jahren Haft.

Allerdings gilt dies alles nur für den Hochleistungssport. Nur Athleten, die nennenswerte Einnahmen durch den Sport haben, sowie deren Helfer, sollen strafrechtlich verfolgt werden. Es betrifft etwa 7000 Topathleten, die im Testpool des nationalen Anti-Dopingkontrollsystems erfasst sind.

An der Realität im Sport geht das vorbei. Längst spritzen sich Amateure etwa Epo, um bei Rennen um die vielzitierte goldene Ananas die Besten ihrer Altersklassen zu sein. Das mag man je nach eigenem Wertemaßstab als Betrug verurteilen oder hinnehmen oder es resigniert als Folge einer gesellschaftlichen Entwicklung hin zum Gebrauch von Pharmaka für alle Lebens- und Stimmungslagen.

Dass die Justiz in den Amateursport nicht vordringen will, hat also mit Pragmatismus zu tun: Relevante Ermittlerkapazitäten wären mit Dopingstrafverfahren in diesem Bereich gebunden. Zudem dürfte der staatliche Eingriff in die Art und Weise, wie einzelne Sport treiben, mit einem Anti-Doping-Gesetz auch für Freizeitsportler unangemessen hart ausfallen. Die repressive Antidrogenpolitik etwa ist gescheitert. Frohlocken dürfte bei dieser Einschränkung die Pharmaindustrie. Ihre Umsätze profitieren auch vom regelwidrigen Einsatz gewöhnlicher Medikamente zur sportlichen Leistungssteigerung.

Immerhin kann es nun aber betrügenden Leistungssportlern an den Kragen gehen. Die größten Antidopingverfahren des letzten Jahrzehnts kamen vor allem deshalb zustande, weil polizeiliche Ermittler sich dieses Problems annahmen. Meist ging dies nur über Umwege. Das Verfahren gegen die Profiradsportler vom Team US Postal und deren Star Lance Armstrong wurde durch den Verdacht des Einsatzes von Steuergeldern für Dopingzwecke eingeleitet. Das Dopingnetzwerk des spanischen Arztes Eufemiano Fuentes wurde wegen des Verdachts von Verbrechen gegen die öffentliche Gesundheit aufgedeckt.

Staatsanwälte und Polizei haben ganz andere Ermittlungswerkzeuge zur Verfügung als Dopingfahnder der Sportjustiz. Die können sich hauptsächlich auf positive Dopingstests und tiefergehende Analysen von Hormon-, Blut- und Steroidprofilen stützen. Doch dieses Kontrollnetz hat auch heute noch Lücken. Epo-Analysen gehören etwa nicht zum Standardkontrollverfahren und müssen extra beantragt werden. Nicht alle Epo-Varianten sind zudem leicht erkennbar. Physiologische Werte können mit einigem Aufwand in unauffälligen Bereichen gehalten werden.

Das Dopingstrafrecht ermöglicht es, mit Sportbetrügern und ihren Unterstützernetzwerken härter umzugehen. Die Androhung von Gefängnisstrafen macht einzelne Sünder kooperationsbereiter - davon zeugte etwa das USADA-Verfahren im amerikanischen Radsport. Für Delinquenten ist es eine Sache, ihre Konkurrenz zu betrügen oder sich möglicherweise auch im Glauben zu wiegen, lediglich Konkurrenzfähigkeit herzustellen. Eine andere Sache ist es, dafür hinter Gittern zu landen.

Auch die Dopinginfrastruktur könnte nachhaltig geschädigt werden. Das gilt für Ärzte oder Betreuer, die sich mit Dopinghandel ein einträgliches Nebengeschäft aufgebaut haben. Ihre Risikoabwägung dürfte jetzt anders ausfallen. Es gilt aber auch für staatlich geförderte Wissenschaftszentren, die sich - wie einst das Leipziger Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport und das Bundesinstitut für Sportwissenschaft in Bonn sowie bis in jüngere Zeit die Freiburger Sportmedizin - dem Ausbaldowern von Dopingsubstanzen und -methoden widmen.

Ob das neue Gesetz aber auch automatisch in einen effektiveren Antidopingkampf mündet, ist nicht sicher. Es braucht Personen und Institutionen, die es mit Leben erfüllen. Travis Tygart, Chef der USADA, hielt nicht ein Anti-Doping-Gesetz, sondern den festen Willen, Doping konsequent aufzuklären, für die Basis der Erfolge seiner Institution. In den USA gibt es kein Anti-Doping_Gesetz, aber einige engagierte Ermittler. Erst wenn sich Staatsanwälte hierzulande es sich zur Aufgabe machen, Dopingverfahren konsequent durchzuführen, dürfte es wirklich nennenswerte Erfolge geben.

Das Gesetz selbst ist ein Zwischenerfolg von Justizminister Heiko Maas. Er hatte ein Gesetz für diese Legislaturperiode angekündigt. Sportfunktionäre ruderten massiv dagegen. Für einige Mitglieder im Sportausschuss des Bundestages kommt der neue Gesetzesentwurf überraschend. Sie hatten ihn erst im nächsten Jahr erwartet.

Maas holt den Entwurf jetzt aus den Untiefen des Lobbyistenkampfes. In den vergangenen Wochen hatte es immer stärkere Hinweise auf Einfluss von Sportfunktionären auf die Ausgestaltung des Gesetzes gegeben. DOSB-Präsident Michael Vesper etwa konstruierte einen Scheinkonflikt zwischen möglicherweise divergenten Urteilen der Sport- und der Strafjustiz, die einzelne Athleten, die sportrechtlich sanktioniert wurden, strafrechtlich aber freigesprochen wurden, zu Schadensersatzforderungen animieren könnten. Vesper vergaß, dass die Maßstäbe, jemanden ins Gefängnis zu bringen oder ihm eine Sperre aufzuerlegen, ganz andere sind. Sein Aktionismus zeigt vielmehr, dass der Sport selbst, zumindest auf der Funktionärsebene, nicht willens ist, das Dopingproblem anzugehen. Die Politiker sind hier einen Schritt weiter.

Bis zur Verabschiedung des Gesetzes werden noch einige Monate ins Land gehen. Erst berät das Kabinett, dann der Bundestag. Frühester Termin für das Inkrafttreten ist Frühjahr 2015. Nicht im Gesetz enthalten sind Maßnahmen gegen Spielmanipulation und Wettbetrug. Dies soll dem Justizministerium zufolge in einem zweiten Gesetz behandelt werden.

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