Renzi erntet Sturm

Auseinandersetzungen bei landesweiten Protesten in Italien / Gewerkschaftsbund CGIL ruft zum Generalstreik am 5. Dezember auf

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 2 Min.
Am Freitag begann die erste große Streikaktion gegen die Arbeitsmarktreformen von Italiens Premier Renzi. In 25 Städten gingen Beschäftigte des Bildungs- und des Transportwesens auf die Straße.

Die Gewerkschaften hatten ihren Widerstand gegen die Arbeitsmarktpolitik der Regierung Matteo Renzi angekündigt. Sie stören sich vor allem an der Lockerung des Kündigungsschutzes, der es Unternehmen leichter machen soll, Beschäftigte zu entlassen. Die Regierung argumentiert, dass nur so die Arbeitslosigkeit von 12,6 Prozent und die Jugendarbeitslosigkeit von 46,7 Prozent bekämpft werden könne.

Noch sind entsprechende Reformen nicht umgesetzt. Dennoch gingen Arbeiter, Studenten und prekär beschäftigte Lehrer am Freitag in 25 Städten Italiens auf die Straße. In mehreren europäischen Städten schlossen sich im Ausland lebende Italiener und andere dem Aufruf an (siehe Kasten).

Flucht in das prekäre Berlin

Berlin. Protestaktionen vor Jobcentern gibt es öfter. Doch die Kundgebung, zu der sich am Freitagmorgen etwa 30 Teilnehmer im Berliner Stadtteil Neukölln eingefunden hatten, war eine Premiere. Organisiert wurde sie von der Berliner Erwerbsloseninitiative »Basta« und der Gruppe »Migrant State of mind«.

Viele der Aktivisten stammen aus Italien oder anderen südeuropäischen Ländern und arbeiten in Berlin. »Wir hatten gehofft, der Krise in unseren Ländern zu entfliehen. Aber in Berlin sind wir mit Niedriglohn und schlechten Arbeitsbedingungen konfrontiert«, so ein Sprecher on »Migrant State of mind«. Er kritisierte auch, dass EU-Bürgern durch die Jobcenter immer wieder Sozialleistungen wie Hartz IV verweigert werden, obwohl die Betroffenen in Deutschland dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und bereits gearbeitet haben.

Eine »Basta«-Sprecherin äußere sich positiv darüber, dass sich Menschen aus verschiedenen europäischen Ländern nun auch in Deutschland »gegen die Entrechtung von Arbeitslosen und Lohnabhängigen« organisieren. Peter Nowak

Die angekündigte Arbeitsmarktreform ruft bei den Gewerkschaften nicht einfach nur Empörung hervor, Wut und Enttäuschung suchen sich auf der Straße ein Ventil. So warfen Demonstranten in Rom Rauchbomben und Feuerwerkskörper auf das Wirtschaftsministerium, in Mailand lieferten sie sich Straßenschlachten mit der Polizei. Ebenso in Rom hatten zehn Arbeiter das Kolosseum erklommen und an einem Baugerüst ein Banner entfaltet: »Keinen Jobs Act (Name der Reform von Renzi, d. R.) und keine Privatisierung öffentlicher Dienste!« Wegen Massenentlassungen bei ThyssenKrupp in Terni warfen Metallarbeiter Eier gegen das deutsche Generalkonsulat. Das Gebäude wurde von einem Kordon aus Polizeifahrzeugen abgesichert.

In Mailand hatte die Metallarbeiter Gewerkschaft Fiom (CGIL) Zehntausende aufgeboten. Das Stadtzentrum war am Vormittag blockiert, weder Busse, Straßenbahnen noch Metro fuhren. Die Demonstranten skandierten Rufe nach Arbeit und sangen das Partisanenlied »Bella Ciao«. »Das ist erst der Anfang«, sagte Fiom-Sekretär Maurizio Landini. »Wir lassen uns nicht aufhalten.«

CGIL-Generalsekretärin Susanna Camusso hatte mit Landini den Demonstrationszug in Mailand angeführt. Hinter dem Banner »Arbeit - Recht - Gleichheit - Demokratie - Generalstreik« erklärten die Gewerkschaftsvorsitzenden, dass »die Partie um ein neues Arbeitsrecht noch nicht zu Ende ist«. Es gehe darum, neue Arbeitsplätze im Lande zu schaffen und nicht darum, Gesetze zu erlassen, die die Arbeitslosigkeit noch weiter erhöhten. Wenn sich die Regierung nicht der Diskussion stelle, müsse man kämpfen. Camusso bekräftigte die Bereitschaft zum Generalstreik am 5. Dezember, der am Mittwoch beschlossen wurde. Sie hofft, dass sich dann auch die anderen großen Verbände beteiligen werden. In Übereinstimmung mit der innerparteilichen Opposition erklärte Camusso zudem, die Demokratische Partei sei nicht nur Renzi allein.

Bisher hat der Regierungschef keine deutlichen Mehrheiten für sein Programm gewonnen. Nun will er zumindest seine Wahlrechtsreform durchbringen. Ausgerechnet mit Silvio Berlusconi traf er hierzu Mitte der Woche eine erste Vereinbarung. Sie sieht vor, dass der Wahlsieger, wenn er mindestens 40 Prozent erzielt, zusätzliche Sitze im Parlament erhält.

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