Alles fließt

Spiritual Neo-Jazz und Post-Rock: das Alien Ensemble

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 2 Min.

Weilheim. Immer wieder Weilheim. Man kommt um Weilheim nicht herum. Wie der bedauernswerte Zustand der Popmusik in diesem Land ohne den kleinen bayrischen Flecken Weilheim aussähe? Man weiß es nicht, ahnt aber Düsteres. Aus der Umgebung der putzigen oberbayrischen Kleinstadt Weilheim kommen sie alle. Wenn nicht aus dem tatsächlichen, dann eben aus einem imaginären Weilheim: The Notwist, Village of Savoonga, Console, Lali Puna, Ms. John Soda, Saroos, 13 & God, Tied & Tickled Trio usw. Man hat, was die Zahl der Projektnamen angeht, schon länger keinen Überblick mehr. Ein ganzer Band-Kosmos ist in den 90er Jahren um die Gebrüder Markus und Micha Acher aus Weilheim entstanden, die beide musikalisch so unfassbar vielseitig und so talentiert sind, dass man sich aus Scham gar nicht mehr traut, selbst ein Musikinstrument anzufassen. Vor allem eine Leistung dieser Leute aber kann nicht mit Gold aufgewogen werden: die praktizierte Gleichgültigkeit gegenüber der weit verbreiteten Zwangsvorstellung, eine Musik müsse fein säuberlich in ein bestehendes Genre eingeordnet und eingepasst werden. Jazz, klassischer Gitarrenpop und klackernde elektronische Beats wurden freimütig zu einem neuen Ganzen verschmurgelt.

Und der oben genannte Kosmos scheint nach wie vor zu wachsen: Der neueste Versuch, musikalisch fernab allen konfektionierten Popgedudels gelegene Wege zu beschreiten, ist mehr als gelungen. Micha Acher, Gründungsmitglied von The Notwist und leidenschaftlicher Jazzliebhaber, hat schon seit 2010 eine eigene Band: das siebenköpfige Alien Ensemble, in dem auch zwei andere Notwist-Musiker mitspielen. Auf dem Cover des im Sommer erschienenen Albums ist eine Illustration zu sehen, die ein landendes Raumschiff zeigt. Musik, die zu uns kommt wie aus einer fernen, fremden Welt. Fern ist heute der stilprägende Blue-Note-Jazz der 60er Jahre, und fremd klingt vielen heute auch eine Musik, die nicht ententanzkompatibel sein will.

Der Bandname, »Alien Ensemble«, erinnert vermutlich nicht zufällig an das legendäre Sun Ra Arkestra. Und tatsächlich ist eine Vorliebe für den verstrahlten Free und Spiritual Jazz der späten 60er Jahre, aber auch für den langsam fließenden Post-Rock der Chicagoer Schule hier unüberhörbar. Die Instrumentierung passt sich dem an: Trompete, Posaune, Harmonium, Bassklarinette, Saxophon, Altflöte, Vibraphon, Bass, Schlagzeug. Auf Gesang und elektronische Spielereien wird verzichtet. Dennoch ist hier weder alles verkopft noch vollständig einem falsch verstandenen Traditionsbewusstsein verpflichtet. Alles fließt. Man denkt an einen schläfrig-entspannten Miles Davis, an Free-Jazzer wie das Art Ensemble of Chicago. Das freie Spiel mit den Rhythmen lässt Bossa Nova zu, aber auch einen uhrwerkpräzisen Krautrock-Beat.

Alien Ensemble, Konzert am 15.11. im »Antje Öklesund«, Rigaer Str. 71-73, 21 Uhr.

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