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Milizen ziehen ab, aber die Zerstörung bleibt

Der monatelange Kampf um die syrischen Gas- und Ölfelder hat die Brennstoffvorräte enorm verknappt

  • Karin Leukefeld, Damaskus
  • Lesedauer: 4 Min.
Die US-Luftwaffe hat bei Angriffen in Syrien erneut Stellungen der radikalislamischen Chorasan-Gruppe unter Beschuss genommen. Diese gilt als Zweig der im syrischen Bürgerkrieg kämpfenden Nusra-Front.

»Macht es Ihnen etwas aus, in den vierten Stock zu Fuß zu kommen? Leider haben wir Stromausfall und der Aufzug funktioniert nicht.« Louiza Hido entschuldigt sich bei der telefonischen Verabredung. Sie bittet am Vormittag um den Besuch, denn abends säße man nur im Dunkeln. Die Anwältin ist vorwiegend für Frauen im Arbeits- und Familienrecht tätig. Ende des Jahres wird sie ihre Arbeit verkürzen, die Wege ins Zentrum von Damaskus fallen der 70-Jährigen nach ihrer Knieoperation schwer. Der Alltag in Syrien sei für die Menschen sehr schwer geworden, erzählt sie. »Es ist traurig, Syrien zu sehen, wie es heute ist.«

Gas und Öl sind knapp geworden. Die EU verhängte 2011 Sanktionen gegen das Land und stellte die Ölimporte aus Syrien ein. Dann besetzten regierungsfeindliche Milizen die Ölförderanlagen im Osten des Landes und verkauften das schwarze Gold seitdem auf eigene Rechnung. Seit September fliegen Kampfjets unter Führung der USA Luftangriffe auf die syrischen Ölanlagen, um von dort den »Islamischen Staat« zu vertreiben. Dessen Kämpfer zogen ab, die Anlagen blieben zerstört zurück. Auch das wichtige Gasfeld Al-Schaer unweit von Palmyra wurde wiederholt von Milizen eingenommen und von der syrischen Armee zurückerobert. Die Angriffe auf die Gas- und Ölinfrastruktur haben Syrien riesige Verluste bereitet. Am Donnerstag traf der syrische Minister für Öl und Rohstoffe, Sulaiman al-Abbas, mit dem chinesischen Botschafter in Syrien, Wang Qi Jian, zusammen, um über chinesisches Engagement beim Wiederaufbau des syrischen Energiesektors zu sprechen. Der Botschafter sagte Unterstützung zu.

Reparaturteams arbeiten unter Hochdruck. Der Winter steht vor der Tür und die Elektrizitätswerke sind lahmgelegt, weil ihnen der Brennstoff fehlt. Für die Bevölkerung hat sich die Versorgung drastisch verschlechtert. Erhielten Familien per Gesetz vor einem Jahr noch 400 Liter Heizöl zum Preis von 60 Syrischen Pfund (SYP) (das sind etwa 25 Eurocent) pro Liter, müssen sie in diesem Winter 80 SYP (35 Eurocent) pro Liter bezahlen und erhalten nur 200 Liter.

Für rund zehn Millionen Inlandsvertriebene sieht die Lage düster aus, zumal die meisten ihre Wohnungen, Häuser, Arbeit und Einkommen verloren haben und auf Hilfe angewiesen sind. Louiza Hido ist privilegiert, denn sie hat ihre eigene Wohnung, ein Einkommen und die Pension ihres vor zwei Jahren verstorbenen Mannes. Doch die aktive Kommunistin beobachtet den wirtschaftlichen Absturz ihrer Heimat und sieht keinen Ausweg. »Die USA und Europa haben kein Interesse daran, den Krieg hier zu beenden«, ist die Anwältin überzeugt. »Sie machen Geschäfte mit den Golfstaaten und mit der Türkei, die unser Land zerstören.«

Die Preise für Lebensmittel und andere Güter haben sich seit Juni um mindestens 30 Prozent erhöht. Stromsperren, die zwölf Stunden am Tag oder länger dauern, belasten das wirtschaftliche Leben, das es trotz aller Kriegswirren noch gibt. Um Elektrizität von Generatoren oder Wasser zu haben, zahlen die Menschen ihre letzten Ersparnisse. Fast alle Nichten und Neffen der Familie Hido haben Syrien verlassen. Die ältere Generation, die Syrien aufgebaut hat, und die Armen bleiben zurück.

Die Jugend zeige wenig nationale Verbundenheit zu Syrien, sagt ein pensionierter Agraringenieur und Wasserexperte, der nicht namentlich genannt werden will. »Die jungen Leute fliehen vor dem Krieg in die Länder, die den Krieg zu uns tragen. Die Türkei, Europa - sie alle unterstützen die Kampfverbände, die Syrien zerstören sollen.« Mit großem Interesse verfolgt der 65-Jährige die politische und militärische Entwicklung in seinem Land. Von den USA erwarte er nichts als Krieg, sagt er. Die europäischen Staaten seien machtlos und erhielten ohnehin »ihre Anordnungen aus Washington«. Russland werde seine Position zu Syrien nicht ändern, er vertraue dem russischen Engagement mit den Vereinten Nationen.

Der UN-Sondervermittler für Syrien, Staffan de Mistura, will den Konflikt in Aleppo beispielhaft »einfrieren«, um humanitäre und politische Entwicklungen zu ermöglichen. Präsident Baschar al-Assad sagte die Prüfung der Pläne zu. »Ein Waffenstillstand ist gut, das wollen wir alle«, sagt der Ingenieur, und seine Frau, eine Ärztin, stimmt zu. »Doch wenn die Front in Aleppo jetzt «eingefroren» wird, setzt sich die Nusra-Front dort fest und wird weiter aus der Türkei unterstützt!« Erst wenn die Türkei ihre Grenzen für nach Syrien einsickernde Kämpfer schließt und die Golfstaaten deren Unterstützung einstellen, würden die Waffen schweigen.

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