Viel Platz für »Helden«

In Geltow, vor den Toren Potsdams, hat die Bundeswehr jetzt einen »Wald der Erinnerung«

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.
»Wir tragen die Verantwortung für die Einsätze und die Soldatinnen und Soldaten«, sagte Generalleutnant Fritz vor den Gedenkstätten der Toten im Einsatzführungskommando unweit von Potsdam.

Es gibt einen Flecken Natur unweit von Potsdam, an dem kann man derzeit den semantischen Wahnsinn, den uns die deutsche Sprache gestattet, zusammenbringen: Blätter fallen, es ist Herbst. Und: Soldaten fallen, es ist Krieg. Dass die Natur ihren Kreislauf vollzieht, ist unabänderlich; das »Fallen« von Menschen indessen verursachen Menschen. Zu denen gehören Joachim Gauck, Bundespräsident, und Ursula von der Leyen, Verteidigungsministerin. Beide wollen, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernimmt, mit Militär.

Beide waren am Samstag Ehrengäste bei der Einweihung eines »Waldes der Erinnerung«. Gestaltet wurde er auf dem Gelände des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in der Henning-von-Treskow-Kaserne unweit von Potsdam. Dort, wo im Auftrag von Politikern und bestätigt von Parlamentariern Befehle ausgefertigt werden, die Soldaten in die Welt, in Gefahr und zu oft auch ins Grab bringen.

Im »Wald der Erinnerung« will man ihrer gedenken, so wie aller Soldaten und Zivilbeschäftigten der Bundeswehr, die seit 1955 »in Folge der Ausübung ihres Dienstes zu Tode gekommen sind«. Schon zu Friedenszeiten, also bevor die Bundeswehr ihren ersten Toten im Ausland zu beklagen hatte, war das Totenbuch des Militärs dicker als die Personalrolle einer ganzen Division. Die Liste ist inzwischen auf über 3200 Namen angewachsen.

Angeführt wird sie von »Kersting, Herr, Todesdatum 1956«. Kersting - wer? Oberstleutnant Arnold Winkens, der Projektleiter des Gedenkens im Wald, zuckt mit den Schultern. Man weiß nicht mehr über Herrn Kersting, kennt seinen Vornamen nicht einmal, weiß nicht, wie, wo, warum er starb. Beim zweiten Toten kennt man zumindest den Vor- und den Familiennamen: Peter Satorius. Beim dritten im Buch des Gedenkens Aufgeführten muss wieder »Schulz« reichen.

Winkens ist das peinlich, er redet sich heraus mit Datenschutz, der das Archivieren von Akten nicht zulasse. Und überhaupt seien so viele gestorben in den Jahren nach der sogenannten Wiederbewaffnung. Über 100 Kradmelder verunglückten, 108 »Starfighter«-Piloten bezahlten ihre Lust am Fliegen mit dem Leben, das U-Boot-»Hai« nahm 19 der 20 Mann Besatzung 1966 mit in die Tiefe, Fallschirmjäger ertranken in der Iller, Rekruten wurden ins Jenseits gedrillt, das Segelschulschiff »Gorch Forck« erlebte mehrfach Streichungen aus der Besatzungsliste, Schieß- und andere Unfälle waren Übungsalltag. Und niemand hat Nummern an den schleichenden Tod ausgegeben. Qualvoll verloren und verlieren ehemalige Radarsoldaten den Kampf mit dem Krebs.

Im »Wald der Erinnerung« will man all jenen Gedenken und den Angehörigen einen Ort der Trauer bieten. Man habe, so Oberstleutnant Winkens, 13 Orte auf ihre Trauertauglichkeit geprüft, war in Strausberg, schaute sich beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt in der Stadt Potsdam um, zog den Berliner Garnision- und den Invalidenfriedhof in Betracht. Doch nur im Wald hinter den Stabsgebäuden des Einsatzführungskommandos konnte man die Ehrenhaine mit den letztlich doch nur markig-hilflosen Sprüchen von Treue und Ehre, die jedes Militär zu allen Zeiten auf Kreuze und an Mauern schreibt, wieder aufbauen. Detailgetreu.

Das Areal aus dem Heerlager in Bosnien-Herzegowina ist da, die Gedenkstätten aus den afghanischen Stationierungsorten Feyzabad, Op-North und Kabul stehen auf einer Anhöhe, sogar die groben Steinklötze für die Schüttung vor der Kundus-Mauer hat man aus Afghanistan mitgebracht. Gemauerte Stelen tragen die Namen der seit 1992 bei Auslandseinsätzen ums Leben gekommenen Soldaten. 104 sind es. Bislang. 37 kamen durch Anschläge oder in Gefechten um. Unter den 67 weiteren Toten sind Opfer von Unfällen und Verzweifelte, die ihre Waffen gegen sich selbst richteten. Verzweiflung gehört oft genug zur inneren Ausrüstung der Auslandskämpfer.

Es gibt einen sogenannten Ort der Stille, dessen Ruhe nur unterbrochen wird, wenn ein Regionalzug die Gleise dahinter befährt. In 18 Monaten war es vollbracht. Zwei Millionen Euro hat man ausgegeben und lobt die Firmen aus der Umgebung, weil die solide Arbeit geleistet haben. Man wird sie sicher demnächst wieder beauftragen. Die Fundamente für die sogenannten Ehrenhaine aus Prizren (Kosovo) und Masar-i-Sharif (Afghanistan) stehen noch vor Ort, weil dort noch deutsche Truppen - welch abermaliger Wahnwitz der deutschen Sprache - stehen. Wenn die beiden Haine aufgebaut sind, ist noch genügend Platz, meint Oberstleutnant Winken und verkneift sich die Erläuterung, wofür.

»Wenn man mit Kameraden gemeinsam beim Frühstück sitzt und beim Abendessen fehlt dann einer, das ist so, als ob einem ein Familienmitglied entrissen wurde«, beschreibt der Chef des Einsatzführungskommandos Hans-Werner Fritz, der in Afghanistan mehrfach Kommandoverantwortung hatte, den Gemeinschaftsgeist der Truppe. Den Panzergrenadier Konstantin Menz aus Waldrems in Schwaben, geboren am 30. September 1988, gestorben am 18. Februar 2011 im afghanischen Baghlan, kannte der Generalleutnant wohl kaum persönlich. Ein Attentäter in der Uniform der afghanischen Armee hat dem jungen Deutschen eine Kugel durch den Hals geschossen, als er die Kette eines Schützenpanzers reinigte. 4,8 Liter Blut füllte ein Arzt dem Verwundeten nach. Doch, so heißt es im medizinischen Bericht, »in Anbetracht der Schwere der Verletzungen, Überlebenswahrscheinlichkeit und schließlich der Erfordernis, Blutkonserven zu schonen, wurde er für tot erklärt um 17.31 Uhr, 18. Februar 2011«. Mit Menz starben zwei Kameraden.

Tanja Menz hat oft über ihre Gefühle gesprochen, auch vor der Presse, damals und am Wochenende wieder. Was weiß sie von dem Mann, der ihren Sohn erschossen hat? »Er ist tot. Er soll 19 Jahre alt gewesen sein und aus Pakistan stammen.« Reicht ihr dieses Wissen? Tanja Menz überlegt. »Nein, ich würde gern mehr über seine Familie wissen, erfahren, wie der Junge aufgewachsen ist, ob er für die Eltern ein Held ist und vor allem, warum er geschossen hat.« Geschossen hat auch ihr Sohn, der war nur vier Jahre älter als sein Mörder. »Für immer in unserem Herzen«, hat die Familie auf ein Schild geschrieben und es an der Gedenktafel für den toten Sohn angebracht.

Die politisch Verantwortlichen gaben sich vor Ort standfest. Man werde sich durch die Opfer, die bei den Auslandseinsätzen zu beklagen sind, in der Fortführung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik nicht beirren lassen, sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Samstag im »Wald der Erinnerung«. Doch: »Wir müssen uns immer wieder die Tragweite unserer Entscheidungen vor Augen führen. Der Soldat oder die Soldatin hat nicht die Wahl. Sie müssen gehen!«

Blätter fallen von den Bäumen - und im Wald der toten Soldaten ist noch viel Platz.

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