Sätze aus Wut und in Eis gegossen

Feridun Zaimoglu wischt der Hauptstadt die Schminke vom Gesicht

  • Uli Gellermann
  • Lesedauer: 3 Min.

Da guckt er aus einer Sprechblase, der wenig begabte Regierende Bürgermeister. Bei der letzten »Hauptstadt-Kampagne« machte er Werbung für seine Stadt und ein anglizistisches »be berlin« tropfte ihm von der kessen Lippe. Schon sind wir Weltstadt.

Das könnte den Schriftsteller Feridun Zaimoglu angeregt haben, als er seinen Roman »Isabel« auf Kiel legte. Der mit »Kanak Sprak« berühmt und angenehm berüchtigt gewordene Autor wischt der Stadt die Schminke vom Gesicht, treibt Horden billigen Prosecco trinkendener GalerieBesucher vor sich her und zeigt Berlin von unten, in seiner ganzen Kleinheit und Gemeinheit, als er den Soldaten und das abgetakelte Modell Isabel aufeinandertreffen lässt.

Schon, dass er den Soldaten aus dem Kosovo hat heimkehren lassen, lässt aufmerken. Denn der Blick auf eine Wirklichkeit mit den Folgen des Krieges, der Verrohung und Zerrüttung, ist eine Seltenheit im deutschen Schriftstellergewerbe. Isabel, in der Türkei geboren, im neuen Deutschland vom Regen in die Jauche geraten.

Zaimoglu rückt den Rand der Stadt, den Schmutz, die Flaschenfischer, die Suppenküchenbesucher, die Transen und den käuflichen Sex in den Mittelpunkt des Romans, findet das Abenteuer im Gewöhnlichen, formt Sätze aus Wut und in Eis gegossen. Der Autor beschießt seine Leser mit einem Wort-Stakkato bis ihnen die ganze brutale Wahrheit einleuchtet, zu einem Erkenntnis-Leuchten wird inmitten einer Stadt mit einer dünnen, oberen Fettschicht über einer kargen Armeleute-Brühe. Eine Stadt, in der immer alles neu & groß & wichtig ist und in der eine erbärmliche Existenz wie Sarrazin als Intellektueller gelten darf.

Nun ist der Soldat ein Wachmann, zuständig für die Mensa einer Uni. Dort muss der Schriftsteller keine Geschichten erfinden, er findet sie in den vielen Verrückten, die in der Mensa auf ihr kleines Glück hoffen, auf One-Night-Stands oder Essensreste. Das große Glück, glauben Isabels Eltern, läge für Ihre Tochter in einem Mann und Kindern, in einer Familie. Deshalb organisiert ihre Mutter, bei einem Treffen in der Türkei eine ganze Parade von Bewerbern um die Hand der Tochter.

Ihre Hand hätte auch gern der Gichtige, für den sie einkaufen geht. Ihm ist die bisherige Onanier-Helferin entlaufen, selber machen kann er es wegen der Gicht nicht, also soll sich Isabel nicht zieren, wird gut bezahlt, die kleine Handreichung. Das geht ihr dann doch zu weit. Obwohl sie ein gutes Geld als Beisitzerin bei einem Beischlaf verdient: Das Paar braucht Publikum, eher ein Auditorium, denn Isabel hört alles, sieht nichts, soll abgewandt bleiben.

Da taumeln sie aufeinander zu, der Soldat mit dem kaputten Kopf und die Frau mit dem kaputten Herzen. Taumeln voneinander weg, hätten sich doch gern, kriegen sich nicht, und bleiben sich so fremd, wie nur die Fassade der großen Stadt fremd machen kann. Und die dahinter, die sieht man nicht. Will man nicht sehen. Doch wer Zaimoglu liest, der kann sie kennen lernen und die Wurzeln ihrer Verzweiflung, ihres Zorns und der Hilflosigkeit begreifen.

Feridun Zaimoglu: Isabel. Roman. Kiepenheuer & Witsch. 240 S., geb., 18,99 €.

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