Schmerzhaft komisch wie das Leben

Mit der Tragikomödie »Indien« verabschiedet sich Regisseur Stefan Neugebauer aus dem Stadtbad Steglitz

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Herr Bösel und Herr Fellner, die im ursprünglichen Stück »Indien« von Josef Hader und Alfred Dorfer vom Fremdenverkehrsamt beauftragt in der niederösterreichischen Provinz Pensionen überprüfen, reisen in der Inszenierung des Clubtheaters Berlin von Stefan Neugebauer im Stadtbad Steglitz durchs Berliner Umland und die Umgebung von Hannover. Heinz Bösel testet missmutig das Essen. »Da schreib’ ich eine Bewertung. Die haben nächstes Jahr nur noch Flüchtlinge.« Kurt Fellner stolziert wichtigtuerisch durch alle Räume, um spitzfindig Mängel auszumachen und Kraft seiner Wassersuppe Wirte zu tyrannisieren.

Einsame Spießer sind sie beide. Bösel, der für eine Frau, die ihn liebte, Bäume ausreißen würde, steht, von seinem gefühllosen Ehegespinst ausgenutzt, dumm da. Der verklemmte Fellner wiederum ist der Typ, über den sich Frauen lustig machen. Seine Freundin lacht auch - inzwischen zusammen mit einem anderen Mann. Denn so ist Fellner: Exakt alle sechs Monate haut er mit dem Genuss eines Schmalzbrotes gegen alle Vorsätze zur gesunden Ernährung mächtig über die Stränge.

Derb, wie die 1991 geschriebene und 1993 verfilmte Tragikomödie von den Autoren angelegt ist, nimmt sie Neugebauer auf. Dennoch ist alles als Kammerspiel für unsereins leichter zu nehmen als die österreichische Verfilmung, obwohl der Regisseur das Finstere durchaus übernimmt. Getreu Josef Haders Charakterisierung, dass das Böse dem Wiener immanent sei. Dazu kommen Männergespräche, wie Frauen sie verabscheuen.

Tom Baldauf als Bösel und Peter Johan als Fellner reden in ihrem Imponiergehabe zunächst aneinander vorbei, verletzen sich verbal gegenseitig nach allen Kräften - bis die Situation nach übermäßigem gemeinsamen Saufen umkippt. Sie beginnen, miteinander zu sprechen, zu philosophieren. Ihre Freundschaft entsteht. Gott und die Welt und Indien, wo man an Reinkarnation glaubt, werden Themen. Linkisch tanzen sie zu indischer Musik.

Der Prozess ist dramaturgisch überzeugend aufgebaut. Mit den Attacken auf dem Rückzug ebbt der österreichische Dialekt ab, verliert seine Bedeutung. Nun wendet sich das Böse des Umfelds gegen die beiden Männer, als Fellner im Krankenhaus landet. Sehr menschlich ist das alles. Schmerzhaft wie das Leben eben - mit aus Ernst erwachsender Komik.

Baldauf und Johan sind sehr gut in den ihren Figuren anhaftenden Tragödien einsamer Männer, wenn sie mit ihrem Schicksal hadern oder sich etwas vormachen. Baldauf wirft sich zwischendurch auch mal einen Kittel über und setzt sich eine Perücke auf, um Wirte zu spielen. Das braucht das Stück kaum. Spielt er dagegen kurz den desinteressierten stummen Arzt, der Fellner als letzten Patienten in den sanierungsbedürftigen Krankenhausaltbau verfrachtete, ist das aussagestark. An diesem Ort besteht die Freundschaft ihre härteste Prüfung.

Mit »Indien« verabschiedet sich Stefan Neugebauer nach acht Jahren mit dem Clubtheater Berlin vom Stadtbad Steglitz, wo er in für Schauspiel und Oper ungewöhnlichen Räumen inszenierte. Zur Spielzeit 2015/2016 übernimmt der 50-Jährige das Stadttheater Naumburg an der Saale freudig als künstlerische Herausforderung. Mit eigener Inszenierung von Goethes »Faust« will er dort die Spielzeit eröffnen.

Bis 19.12., freitags und samstags 20 Uhr, am 31.12. 18 und 20 Uhr, Stadtbad Steglitz, Bergstr. 90, Steglitz, Tel.: (030) 54 77 31 18

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal