... wer die meisten Stimmen erhält

Rot-Rot-Grün in Thüringen hat nur eine knappe Mehrheit. Wie viele Voten braucht Ministerpräsident in spe Ramelow in einem möglichen dritten Wahlgang?

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.
Am 5. Dezember soll Bodo Ramelow zum Mindestpräsidenten von Thüringen gewählt werden. Was für einen möglichen dritten Wahlgang gilt, ist im Freistaat umstritten.

Im Thüringer Landtag verfügen Linkspartei, SPD und Grüne über 46 der 91 Mandate - ein Vorsprung von gerade einer Stimme. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was geschieht, wenn Bodo Ramelow bei der für den 5. Dezember geplanten Ministerpräsidentenwahl zunächst nicht alle Voten des rot-rot-grünen Lagers erhält - und was in einem dritten Wahlgang geschehen könnte. Beziehungsweise was laut Landesverfassung dann gelten müsste.

Nach bisheriger Auffassung der Landtagsverwaltung ist ein Bewerber im 3. Wahlgang gewählt, wenn er mehr Ja- als Nein-Stimmen erhält. Das würde bedeuten, dass der Linkenpolitiker als Alleinkandidat wie in den beiden ersten Durchgängen mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten müsste. Bisher hat sich in der CDU niemand bereit erklärt, gegen Ramelow anzutreten - so wie dieser es im Oktober 2009 gegen Christine Lieberknecht tat. Die erhielt seinerzeit in den ersten beiden Wahlgängen nur 44 Stimmen und verfehlte die nötige absolute Mehrheit. Gegen den Linkenpolitiker bekam die CDU-Landesvorsitzende im dritten Wahlgang dann 55 Stimmen - und wurde Ministerpräsidentin.

Mit voller Rückendeckung ihrer Fraktion kann Lieberknecht inzwischen nicht mehr rechnen. Die Thüringer CDU ist zerstritten, Fraktionschef Mike Mohring bringt sich in Stellung. Doch auch er würde wohl nicht alle CDU-Stimmen erhalten. Lieberknecht will nun immerhin eine Bewerbung prüfen, die Linkspartei hatte sie dazu aufgefordert. Sollte dies geschehen, wäre das Wahlprozedere klar: In der Landesverfassung heißt es, der Ministerpräsident ist im Falle von zwei gescheiterten Wahlgängen in einem dritten gewählt, wenn er »die meisten Stimmen erhält«. Ramelow bräuchte dann also unabhängig von der Zahl der Voten nur besser abzuschneiden als Lieberknecht.

Was aber, wenn der Linkenpolitiker allein antritt? Die Landtagsverwaltung interpretiert die Verfassung so, dass auch der Einzelkandidat im dritten Wahlgang mehr Ja- als Nein-Stimmen braucht. Das würde die Hürden für Ramelow erhöhen.

Die Linkspartei ist aber nicht nur deshalb dagegen. Es geht auch um den Wert der Verfassung, darum, wie die CDU mit dem Text umgeht. Der Fraktionsgeschäftsführer der LINKEN, André Blechschmidt, wurde im MDR mit den Worten zitiert, die Verfassung sei so zu verstehen, dass in einem dritten Wahlgang nur die Ja-Stimmen zählten.

Und dafür hat die Linkspartei auch einen unverfänglichen Zeugen: den langjährigen FDP-Landeschef Andreas Kniepert. Der war an der Ausarbeitung der 1993 in Kraft getretenen Verfassung beteiligt - und hat klargestellt, was damals die Intention war: »dass der Landtag im dritten Wahlgang entscheiden muss, wer Ministerpräsident wird«. Dem liegt unter andere der Gedanke zugrunde, eine Lehre aus der Geschichte zu ziehen - nämlich einen zu raschen Weg in Neuwahlen zu verstellen. Unklare Mehrheiten sollen die politischen Verhältnisse nicht chaotisieren.

Verfassungsvater Kniepert pocht darauf, dass im Artikel 70 der Thüringer Landesverfassung »immer nur von Stimmen beziehungsweise den meisten Stimmen für einen Kandidaten geschrieben« worden sei. »Von Nein-Stimmen ist nicht die Rede.« Der Liberale geht sogar so weit, einen Stimmzettel für die Ministerpräsidentenwahl, der auch eine Nein-Stimme möglich macht, für »nicht mit dem Text der Verfassung in Einklang« zu bezeichnen.

Derzeit prüfen sowohl die Landtagsverwaltung als auch das Justizministerium, welche Interpretation der Verfassung die richtige ist. Auch der Ältestenrat des Landtags soll sich kommende Woche damit befassen. Folgt man dem Verfassungsvater Kniepert, würde einem Alleinbewerber Ramelow im dritten Wahlgang im Prinzip eine Stimme reichen. Jedenfalls ist laut Verfassung für den dritten Wahlgang nicht von einer »Mehrheit« die Rede, sondern von den meisten Stimmen.

Es gibt dafür übrigens ein historisches Vorbild: die Wahl des schleswig-holsteinischen Regierungschefs Friedrich Wilhelm Lübke. Der hatte sich im Juni 1951 zur Wahl gestellt, ohne überhaupt eine Mehrheit im Landtag hinter sich zu haben. Für Lübke stimmten im dritten Wahlgang 28 Abgeordnete - gegen ihn votierten 37. Der CDU-Politiker wurde Ministerpräsident.

In der dortigen Landesverfassung heißt es über das Prozedere nach zwei gescheiterten Wahlgängen, Ministerpräsident werde, »wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält«. Es ist die selbe Formulierung, um die nun in Thüringen gestritten wird.

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