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Die Regen fallen wie Messer

»Außer mir« - neue Gedichte von Albert Ostermaier

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.

Diese Gedichte haben Brandlöcher in der Jacke; es liegt eine »Automatic« im Handschuhfach; eine Frau beißt einem Mann blaue Blumen über die Schulterblätter; die Schenkel einer anderen Frau sind Stimmgabeln; die Regen fallen wie Messer vom Himmel. Albert Ostermaiers neuer Lyrik-Band heißt »Außer mir«. Lockungen eines Mehrfach-Sinns: Was ist das - außer sich sein? Was außerhalb meiner Kreise darf diese Kreise stören? Wer, außer mir, hat Schlüsselgewalt über mein Leben?

Die Liebe bei diesem Dichter: ein Zweier-Psycho-Trip, eine Gespensterbahnfahrt im Seelenlabyrinth. So wie Blaubart seine Geheimniskammer hat, so haben auch wir solche Kammern in uns. Insgeheim lustvolle Verräter an der Anständigkeit sind wir. Sehnen uns nach dem rücksichtslosen Leben. Wie allein ist jeder mit dem, was er wirklich sein will? In welchem Maße ist Nähe zu einem anderen Menschen wahrhaft - Nähe? Und bleibt es nicht ein Heil, einander nicht wirklich nahe kommen zu können, so eng man auch miteinander lebt?

Jeder Grenzübergang durchs Tor der Sehnsüchte entlässt ja doch nicht in die gewünschte, gewollte Welt, sondern wieder nur in die Wirklichkeit. Ins Reich der Enttäuschungen, in einen Kosmos der Verfehlungen, der größer wird mit jedem Schritt, den Menschen aufeinander zugehen. Liebe? Eine Stammesgeschichte auch der Vortäuschungen? Vielleicht. Wahrscheinlich. Diesen Gedichten ist daher die Zeitrechnung der Stundenhotels näher als die Ewigkeit der falschen Treue. Der eingeübten Ergriffenheit, wenn der Schmerz aufläuft. »ihre/ überflüssigen tränen erstarrten zu/ eiswürfeln die er in der kühlbox seines/ brustkorbs aufbewahrte«.

Wo wurzeln diese Gedichte? Wo nähren sie sich? Überall dort, wo mit einem Verstoß zu rechnen ist, wo der Abfall sich schön macht, wo die Angst und der Übermut gemeinsam ins Bett steigen. Diese Verse mögen gewissermaßen die Zielsicherheit der Taxifahrten - die so eine Art gekaufter Liebe sind, indem sie wenigstens für ein paar Kilometer unseren einsamen Nächten einen Menschen beigeben, der den Weg weiß. Von Gedicht zu Gedicht offenbart sich ein Bewusstsein ohne jegliche Sicherheit, wir sind ein Wirbel zwischen Fieber und Frost.

Poesie ist der ideale Protokollant dieser andauernden Temperaturstürze ins Unbestimmte. Der Dichter erzählt von diesen Unbestimmtheiten, sie werden just dort am stärksten, wo wir sie besiegen, beenden wollen. Es gibt jedoch kein sicheres Wissen um jene eigene Identität, die einem Handeln, einer Beziehung vorausgehen könnte.

Nein, was ich bin, weiß ich nie vorher, erfahre es erst im Handeln selbst, das stets in neuen gefährlichen Freiheiten endet. Alle Existenz bleibt eine Sammlung von Transitmomenten zwischen Fremde und Fremde. In dieser Lyrik lebt das süchtige Spiel mit den Abschieden, den Katerstimmungen, wenn die Körper in aufkommender Alltäglichkeit und Vernunft zugrunde gehen. Wenn es vom Ausbrechen nach Irgendwo an das Aushalten im Gewohnten geht. Wo es Gedeih gibt, da ist es kontaminiert mit Verderb. Das Leben ein Schatz, »den/ man nur mit leeren händen/ umarmen kann«.

Diesen Dichter der Stadionkurven und des Autokinos, der Jukeboxen und der Spielautomaten, des Restalkohols und des Kerosins, der Hochhauszeilen und der albgeträumten Aufzüge »tausend meter tief« - man wird ihn an bevorzugter Stelle nennen müssen, wenn man nach dem Seelenzentrum seiner Generation fragt. Es ist eine Generation, die auf dem schwelenden Illusionsmüll der Moderne ihr Sekundenfeuerchen zündet; sie wärmt sich an der guten Lage, sich für falsche Gewissheiten nicht mehr heiß machen zu sollen. Die Intelligenz dieses lyrischen Sounds besteht im leidenschaftlichen wie lakonischen Einverständnis mit jenem Zyklus aus Schweben und Schwere, der uns zwischen Himmel und Erde so wundersam fassungslos und so schön schwach hält. In Landschaften »hinter deinen/ augen über die wir barfuß laufen«

Ostermaier ist der Fantast geblieben, der den Leibhaftigen, den Ich-Erzählern seiner Gedichte, etwas leidenschaftlich Überspanntes beigibt, eine selbstverständliche Bindung an jenes Unsichtbare, tief Mystische, das durch unsere Vorstellungswelten, ja: geistert. Das durch uns hindurchgeht. Das in den vernebelten Lüften sich ankündigt, die wir atmen. Mit dem wir codiert sind. Das uns zu Unbekannten unserer selbst macht. Zufall richtet an, Zufall nimmt zurück. Als sei jeder Mensch in seinem verwitternden Fleisch immer auch ein Erfundener, in dem sich nicht Leben fortschreibt, sondern eine kalte, schmerzhaft schöne, unheimliche Kinogeschichte. Fortsetzung folgt, obwohl wir sie nie erfahren.

In diesen Versen ist jeder auftauchende Mensch auch Gesandter fremder Botschaften, ist real und auch Projektion. Niemand passt mehr wirklich in eine einzelne Existenz. Ein Mensch flieht zum nächsten. Der flieht zum übernächsten. Und so fort. Unendlich. Irgendwo, auf freier Strecke, mitten auf der Flucht von einem zum anderen, bleibt der Mensch plötzlich stehen, erstarrt in seiner letzten Figur. Die wahre Utopie liegt im Gedächtnis, welches noch weiß, dass alles einmal anders war.

Im Gewalt-Akt, der die Logik und das Gewohnte sprengt, liegt die melancholische Kraft dieser Poesie. Sie schwitzt, sie raucht, sie steht geblendet im Licht, sie trägt ein Herz, so rot wie ein kochender Hummer, ihre Schläfen pochen. Wir blicken in Verirrungsräume, auf Menschen in Zwischenräumen, fortgetrieben von Sehnsüchten, angezogen von Sehnsüchten, angestrandet irgendwo, immer in der Nähe von Fahr- und Flugplänen, die nichts verheißen, auch wenn sie Ziele angeben. Immer schon war die Lyrik Ostermaiers an Bewegung gebunden, an die Leerstellen zwischen Orten, an den Sog der Entfernungen, die von etwas wegreißen, das wir undeutlich als Zuhause erkennen - und das doch nur, indem wir weggehen, seine beängstigenden Unschärfen verliert. Der Mensch auf »dem weg ins hinterland wohin ich/ fahre wohin wohl zur nächstbesten/ wand«.

Gedichte auf Venedig-Fotos von Christopher Thomas, Zyklen zum »Kaufmann von Venedig« und zur »Katze auf dem heißen Blechdach«, Verse fürs Programmheft seines Stücks »Blaue Spiegel«, von Andrea Breth am Berliner Ensemble inszeniert. Das Wort kann zart und tastend, diffus und gewaltsam, abrupt oder sperrig sein. Wie Linien, rigoros und sicher gezogen, barock und besitzergreifend.

Manchmal: größte Wirkung durch fahle Entschiedenheit. Wenn es ein Ziel dieser Gedichte gibt, dann ist es eine Verweigerung, nämlich: besonnene Leute auf maßvollem Kurs zu bestätigen. Es sind Texturen aus Sound und surrealen Fetzen. Wieder die Komma- und Punktlosigkeit der Verse. Sprache wie ein Fluss, aber man kann durchaus zweimal in einem Satz stehen, der Lesende ist die Brücke zwischen den Worten, und Lesen ist auch nichts weniger als Fortbewegung, vor und zurück, vor oder zurück - von Zeilenbruch zu Zeilenbruch sind Entscheidungen zu treffen, wie wir Sinn, Empfindung transportieren oder aber zurücklassen wollen. Das Gedicht gleichsam als absolute Freiheit, sich verwirren zu lassen. Und durch ein Gewitter zu laufen - »ohne angst vor dem glück«.

Albert Ostermaier: Außer mir. Gedichte. Suhrkamp. 198 S., geb., 21,95 €.

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