Bittere Jahre im Exil

Alfred Döblins Schicksalsreise von Paris in die USA

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 2 Min.

Am 16. Mai 1940, so beginnt sein Bericht, schlug es ihm die Feder aus der Hand. Die Radiostimme im Nebenzimmer meldete, dass die französische Armee im Norden ihre Stellungen nicht hatte halten können. Alfred Döblin, der Jude, der Arzt, der Schriftsteller, aus Deutschland vertrieben von den Nazis, lebte in St. Germain bei Paris, und er wusste, was die Radiomeldung bedeutete. Die großen, sommerlichen Chausseen waren inzwischen verstopft, überall vollbepackte Autos, Pferdewagen, Ochsenkarren, Frauen, Männer, Kinder, die ihr letztes Hab und Gut schleppten, geflohen aus dem von Hitlers Truppen okkupierten Belgien. Döblins Tage in der französischen Hauptstadt waren nun gezählt.

Als alles vorbei war, der Krieg zu Ende und auch das Exil überstanden, schrieb er, der »schiffbrüchige Robinson«, weiter an einem Buch, das er »Schicksalsreise« nannte, Beschreibung der Zeit, die er in der Fremde verbringen musste, ein Autor mit Weltruhm, dem zuletzt nichts erspart geblieben war, nicht die völlige Isolation und nicht das bittere Elend des erschöpften, mittellosen, von Spenden abhängigen Emigranten. Er erzählte, wie er nach der Flucht 1933 und den Jahren in Frankreich nach langer Irrfahrt über Spanien und Portugal in die USA entkam, später in immer schlimmere Nöte geriet, Zuflucht im christlichen Glauben suchte, zum Katholizismus konvertierte, als französischer Staatsbürger 1945 erst in Baden-Baden, dann in Mainz lebte und schließlich, »überflüssig« im Land seiner Geburt, wie er an Bundespräsident Theodor Heuss schrieb, zum zweiten Mal ins Exil nach Frankreich ging.

»Die Katastrophe, in die ich hineingerissen war, sollte aufbewahrt werden und der Verschüttung durch die Zeit entgehen. Es sollte ihr ein Denkmal gesetzt werden.« Döblin schrieb es fast am Ende seiner »Schicksalsreise«, voller Hoffnung, dass man aus dem Buch etwas mitnehmen würde, aber sein »Denkmal« fand kaum Beachtung. Von den fünftausend Exemplaren, die 1949 ausgeliefert wurden, waren nach Jahren nicht einmal tausendsechshundert abgesetzt. Döblin sprach desillusioniert von einem Reinfall. Auch später blieb das Buch im Schatten der großen Romane.

Eine neue Gelegenheit, es endlich wahrzunehmen, bietet gerade der S. Fischer Verlag, der seit 2013 in seiner fabelhaften Reihe »Fischer Klassik« eine 24-bändige Taschenbuchedition ediert, die bereits weit gediehen ist. Zwei Bände kommen dieser Tage dazu, neben der Südamerika-Trilogie »Amazonas« die bewegende, lange nicht mehr gedruckte »Schicksalsreise«, vorbildlich versehen mit einem umfangreichen Nachwort, Literaturhinweisen sowie Daten zu Leben und Werk.

Alfred Döblin: Schicksalsreise. Bericht und Bekenntnis. Fischer Taschenbuch Verlag. 475 S., br., 19,99 €.

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