»Seid doch nicht so misstrauisch«

Chaotische Zustände nach den Kommunal- und Regionalwahlen in Polen

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit einwöchiger Verzögerung sind in der Nacht zum Sonntag die offiziellen Endergebnisse der polnischen Regionalwahlen veröffentlicht worden.

Die vergangene Woche stand im Land zwischen Oder und Bug im Zeichen eines beispiellosen politischen Skandals. Verursacht wurde er durch den totalen Zusammenbruch des elektronischen Auszählungssystems nach den Kommunal- und Regionalwahlen am 16. November. Erst in der Nacht zum Sonntag wurden nun von der Staatlichen Wahlkommission (PKW) auf einer Pressekonferenz die Endergebnisse bekannt gegeben - und von Journalisten gleich wieder in Frage gestellt.

Für das politische Gesamtbild war die Wahl der »Sejmiki«, der Wojewodschaftsparlamente, von besonderer Brisanz. Da zeigten nämlich die politischen Parteien Flagge. Die oppositionelle nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Ex-Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski erreichte 26,85 Prozent der Stimmen. Die regierende liberale Bürgerplattform (PO) erhielt ein halbes Prozent weniger, die PSL-Bauern kletterten auf 23,68 Prozent und das Demokratische Linksbündnis (SLD) stürzte mit 8,78 Prozent regelrecht ab. Von landesweit 555 Mandaten konnte es nur noch 28 erringen.

Aufgrund des komplizierten Wahlsystems erhielt die PO der neuen Ministerpräsidentin Ewa Kopacz am Ende mit 179 Mandaten wieder die meisten Sitze in den regionalen Vertretungen, vor der PiS (169) und der PSL (159). Doch verlor sie auch deutlich gegenüber ihrem Erfolg von 2010. Damals siegte die PO in 13 Regionen, nun stellt sie in acht Wojewodschaften die Regionalregierungen, die PiS in sechs, und die in Warschau mitregierende PSL wurde in zwei Regionen zur stärksten Kraft.

Die neun PKW-Mitglieder, die allesamt erst am Sonnabend abdankten, gaben als Begründung für den Eklat an, sie seien durch die Ausschreibungsvorschriften verpflichtet gewesen, das preiswerteste Angebot für das elektronische Systems anzunehmen. So ist es in Polen tatsächlich bei allen Ausschreibungen. Doch diesmal betrug der Schaden nicht Milliarden Zloty (wie schon beim Bau von Autobahnen und Schnellstraßen), sondern beschädigt wurde das sogenannte demokratische System.

Staatspräsident Bronislaw Komorowski hatte die Blamage zunächst auf die leichte Schulter genommen (»Es ist ja nichts Schlimmes geschehen«). Doch dann verschob er einen Staatsbesuch in Japan und am Sonnabend appellierte er schließlich an das Volk, es möge dem demokratischen Staat doch nicht so viel Misstrauen entgegenbringen. Jetzt die Wahl zu wiederholen, wäre der Gipfel des Wahns. Zugleich aber kündigte er für Montag ein »ernsthaftes Gespräch« mit den Obersten Richtern über eine Reform der Wahlgesetzgebung an. Gemeinsam mit Kaczynski sprach sich SLD-Chef Leszek Miller für eine Wahlwiederholung aus. Eine derartige Allianz hätte man vor dem 16. November für unmöglich gehalten. Und man fragt sich auch, ob der »Sozialdemokrat« Miller, zweimal Premier mit über 40-prozentiger Unterstützung, nun bei kaum neun Prozent politischen Verstand und Anstand verloren hat.

Derweil hören die Proteste der Nationalisten nicht auf, die Lage bleibt chaotisch. Am 16 November gingen 53 Prozent der Polen nicht zur Wahlurne, von den Wahlteilnehmern wurden 17 Prozent ungültige Stimmen abgegeben. Am nächsten Sonntag werden nun in Stichwahlen in etwa einem Drittel der Kommunen die Bürgermeister- und Stadtpräsidenten bestimmt.

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